Protokoll des Mauerfalls

Wie es dazu kam - ein Protokoll:

18.53 Uhr - SED-Politbüromitglied Günter Schabowski erläutert auf einer internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin das neue DDR-Reisegesetz. Danach sollen Privatreisen ins Ausland ohne besondere Voraussetzungen möglich sein. Auf die Frage, ab wann das gilt, stammelt er: «Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich.»

19.04 Uhr - Die Nachrichtenagentur dpa sendet die Eilmeldung: «Von sofort an können DDR-Bürger direkt über alle Grenzstellen zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausreisen.» Die Nachricht platzt in die Bonner Bundestagsdebatte über eine neue Vereinsbesteuerung.

20.00 Uhr - Die ARD-«Tagesschau» beginnt mit der Schlagzeile: «DDR öffnet Grenze».

20.46 Uhr - Der Bundestag tritt in seinem Ausweichquartier im Bonner Wasserwerk zu einer Sonderaussprache zusammen. Am Ende der Sitzung singen die Abgeordneten spontan die Nationalhymne.

20.47 Uhr - Der zweite Tag der Sitzung des SED-Zentralkomitees endet in Ost-Berlin. Bisher hat die Partei- und Staatsspitze die Pressekonferenz und deren Folgen noch nicht zur Kenntnis genommen.

21.03 Uhr - Ein West-Berliner klettert auf die Mauer am Brandenburger Tor, kommt aber der Aufforderung der DDR-Polizei nach, in den Westteil zurückzuspringen.

Gegen 21.20 Uhr - Tausende fordern die Öffnung des Schlagbaums an der Bornholmer Straße im Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Die Grenzbeamten entscheiden sich für die sogenannte «Ventillösung», bei der einige Ausreisewillige in den Westen gelassen werden. Mit dem Visumsstempel über dem Passbild werden viele Personalausweise ungültig gemacht - eine faktische Ausbürgerung. Die Menschen werden mit Freudentränen und Umarmungen empfangen.

21.34 Uhr - US-Präsident George Bush reagiert auf einer Pressekonferenz in Washington zunächst zurückhaltend auf die Meldungen. Er sei «sehr erfreut», sagt er, wirkt aber nachdenklich.

22.44 Uhr - Die West-Berliner Polizei meldet, dass am Brandenburger Tor die Westseite der Mauer mit Hämmern beschädigt werde.

Ab 23.00 Uhr - Der Druck an der Bornholmer Straße wird immer größer - bis die Beamten die Grenze öffnen und die Kontrollen einstellen: «Wir fluten jetzt!» Dann gibt es kein Halten mehr: Tausende DDR-Bürger werden in West-Berlin enthusiastisch empfangen. In den kommenden 45 Minuten passieren rund 20 000 Menschen den Übergang. Auch an anderen innerdeutschen Grenzübergängen fahren DDR-Bürger in den Westen.

23.50 Uhr - Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gibt während seines Besuchs in Warschau eine Pressekonferenz. Er wolle seine Reise unterbrechen. Am nächsten Mittag fliegt er über Hamburg nach Berlin.

00.02 Uhr - Laut Lagebericht der DDR-Volkspolizei sind alle Grenzübergänge innerhalb Berlins geöffnet.

Ab 01.00 Uhr - Tausende West- und Ost-Berliner überwinden die Mauer am Brandenburger Tor. Sie tanzen auf dem Pariser Platz oder auf dem Grenzwall. Ab 03.30 Uhr riegeln Beamte aus Ost und West den Zugang zum Tor wieder ab. Ab 05.00 Uhr ist der Pariser Platz geräumt.

Gegen 03.00 Uhr - Nach Polizeiangaben macht sich der größte Teil der Ost-Berliner wieder auf den Rückweg aus dem Westen. Mehrere Zehntausend Menschen hatten die Grenze ungehindert passiert.

08.00 Uhr - Ab jetzt soll die Ausreise in den Westen mit Visum geschehen. Das DDR-Pass- und Meldewesen erteilt die Genehmigungen für Privatreisen beziehungsweise Visa zur ständigen Ausreise. In Berlin und an einigen anderen Grenzübergängen wie Rudolphstein und Helmstedt können DDR-Bürger zunächst weiterhin mit Personalausweisen passieren. Am Übergang Duderstadt-Worbis hingegen ist das nicht mehr möglich. Bis zum 11. November 13.00 Uhr werden 2,7 Millionen Visa erteilt.

09.30 Uhr - Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper (SPD), sagt in seiner Rede in Bonn: «Gestern Nacht war das deutsche Volk das glücklichste Volk auf der Welt.»

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Günter Schabowski
Günter Schabowski gibt am 9. November 1989 während einer Pressekonferenz in Ost-Berlin (DDR) die Öffnung der innerdeutschen Grenze bekannt
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