Im Zuge einer Demonstration unter dem Motto «Wir sind alle LinX» ist es am Samstag, 18. September 2021in Leipzig zu Ausschreitungen gekommen. Während des Aufzugs von der Innenstadt in den Leipziger Süden wurden immer wieder Gebäude mit Steinen beworfen. Nach seinem offiziellen Ende entzündeten Vermummte im Stadtteil Connewitz Barrikaden. Die Polizei fuhr Wasserwerfer auf, die wiederum mit Steinen beworfen wurden. Für die Demonstration war bundesweit mobilisiert worden.
Laut Polizei beteiligten sich in der Spitze bis zu 3500 Menschen an der Demonstration, die Organisatoren sprachen von 6000. Sie wurde von einem Kampagnenbündnis organisiert. Anlass war der Prozess gegen die Leipziger Studentin Lina E. und drei Mitangeklagte aus Leipzig und Berlin wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Attacken auf mutmaßliche Rechte. Es wurde unter anderem die sofortige Freilassung der Frau gefordert.
Die Demonstration begann zunächst friedlich, auch wenn immer wieder Böller und Bengalos gezündet wurden. Als der Zug die Polizeidirektion Leipzig passierte, wurden Flaschen, Feuerwerkskörper und laut Polizei teilweise mit Farbe gefüllte Gegenstände gegen das Gebäude geworfen. Entlang der Demo-Route sammelten einzelne schwarz Vermummte immer wieder Pflastersteine auf und schleuderten sie gegen die Scheiben mehrerer Bankgebäude; auch ein Haus mit Studentenappartements war Ziel.
Am späten Nachmittag wurde die Demonstration am Connewitzer Kreuz offiziell beendet. Wie eine Polizeisprecherin sagte, hat die Staatsanwaltschaft Leipzig Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet. Ein Vielzahl von Teilnehmern sei vermummt gewesen.
Am Abend beruhigte sich die Lage in Connewitz allmählich. Ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Viertel. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit 1000 Kräften im Einsatz Die sächsischen Beamten hatten Unterstützung aus Berlin, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Nach Angaben der Polizeidirektion vom späten Abend wurden sieben Beamte leicht verletzt. Es seien Ermittlungsverfahren unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet worden.
Leipzigs OB Burkhard Jung hat die «Wir sind alle Linx»-Demonstration scharf kritisiert. «Steinwürfe, Brandstiftung, verletzte Polizisten - diese Demonstration war nicht friedlich. Erschreckend: Auf einem Hass-Transparent wird an die Morde der linksterroristischen RAF angespielt. Von dieser Demonstration müssen sich Demokraten distanzieren», erklärte der SPD-Politiker am Sonntag, 19. September 2021.
Auf Nachfrage bei der Polizei hieß es, dass zwei Personen vorläufig für kurze Zeit festgenommen, dann aber wieder frei gelassen wurden. Die Nacht über blieb es ruhig. Weitere Festnahmen gab es nicht.
Die Morddrohung auf einem Banner bei der «Wir sind alle LinX»-Demonstration in Leipzig soll Konsequenzen haben. Die Polizei habe Videoaufnahmen gemacht, teilte Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar am Sonntag, 19. September 2021mit. «Wir werden alles dafür tun, durch Auswertung der Videos die Straftäter zu überführen.» Während der Demo habe die Polizei das Transparent nicht eingezogen, weil eine Eskalation gedroht habe.
Ein schwarzer Block innerhalb der Demonstration hatte ein Transparent mit einer Drohung gegen den Chef des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ) getragen. «Bald ist er aus Dein Traum, dann liegst Du im Kofferraum» war auf dem Stoffbanner hinter dem Namen des PTAZ-Chefs zu lesen. Das wurde als Anspielung auf den RAF-Mord an Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer gewertet.Er wurde 1977 erschossen im Kofferraum eines Autos gefunden.
Die Staatsanwaltschaft Leipzig stuft das Drohplakat indes als Straftat ein. Die Ermittlungen würden gegen Unbekannt wegen der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhen von Straftaten und Bedrohung geführt, teilte ein Behördensprecher am Montag, 20. September 2021 mit.DIe Formulierung ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft keine Meinungsäußerung, die vom Grundgesetz geschützt wäre. Das Banner sei - auch in dem Kontext, in dem es gezeigt wurde - eindeutig. «Das Transparent zum Leiter des PTAZ wurde aus einem sogenannten schwarzen Block mit mehreren hundert Personen, die unter Verstoß gegen das Uniform- und Vermummungsverbot schwarzgekleidet, vermummt und mit schwarzen Regenschirmen ausgestattet aggressiv aufgetreten sind, gezeigt», erklärte der Sprecher.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch noch wegen eines zweiten Plakats, das direkt neben dem Drohbanner gezeigt wurde. Darauf wurde die «Hammerbande» um die Studentin Lina E., gegen die gerade ein Prozess in Dresden läuft, als «erfolgreich» bezeichnet. Das sei eine Billigung von Straftaten, so der Behördensprecher.
Nach der «Wir sind alle LinX»-Demo in Leipzig steht Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel als Anmelderin in der Kritik. Innenminister Roland Wöller (CDU) erklärte, es sei eine Grenze überschritten, wenn auf einer Demo, die Nagel angemeldet und angeführt habe, Gewalt ausgeübt und offen Morddrohungen gegen Ermittler gezeigt würden. Die Partei solle sich umgehend von ihrer Landtagsabgeordneten distanzieren.
Nagel war am Samstag bei der Demo mitgelaufen. Am Abend hatte sie ein Statement auf Twitter gepostet: «Festzuhalten bleibt: Es waren 5000 Antifaschist*innen gegen Rechtsruck, Neonazis, rechte Netzwerke in Behörden auf der Straße. Wenn Pyrotechnik nun die Gemüter erhitzt, ist das schief. Was nicht geht sind krude Drohungen gegen Personen», schrieb sie.
Die Leipziger Linken wandten sich ebenfalls via Twitter gegen Gewalt und Bedrohungen: «#Antifaschismus: Ja! Dafür auf die Straße gehen: Ja! Gewalt & Bedrohungen von Personen: Nein, da gibt es bei uns keine zwei Meinungen», schrieben sie. Die Mehrzahl der Demonstranten sei friedlich gewesen, einige wenige nicht. Linken-Bundeschefin Janine Wissler sagte dem Portal watson: «Gewalt gegen Menschen ist vollkommen inakzeptabel, Gewalt gegen Sachen lehnen wir ab.»
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat zudem Übergriffe von Polizisten auf Medienvertreter nach der Leipziger Demonstrationscharf verurteilt. Beim Vorgehen der Polizei gegen brennende Barrikaden und Steinewerfer und dem Räumen von Straßenzügen sei es auch zu Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten gekommen», teilte der DJV am Montag, 20. September 2021mit. Dabei seien die Betroffenen klar erkennbar ihrer Arbeit nachgegangen.
«So wurde an der Auerbachstraße ein Fotograf von einem Beamten einer Chemnitzer Bereitschaftspolizeieinheit angegriffen. Derselbe Beamte schlug unmittelbar danach einem freien Fernsehjournalisten das Mikrofon aus der Hand», hieß es. Ein weiterer freier Kameramann sei - offenbar von einer vorrückenden Bundespolizeieinheit - in der Biedermannstraße förmlich überrannt und gegen ein parkendes Auto geschleudert worden. Die Vorfälle seien auf Video dokumentiert.
«Mehrere Journalist*innen schilderten dem DJV Sachsen zudem, dass sie - trotz sichtbar getragenem oder hochgehaltenem Presseausweis - bei der Arbeit behindert, zum Teil rüde verbal angegangen, bedrängt und weggeschubst wurden», teilte der DJV mit. «Diese Übergriffe sind indiskutabel, wir verurteilen sie auf das Schärfste», erklärte die DJV-Landesvorsitzende Ine Dippmann.
Die offizielle Demonstration sei zu diesem Zeitpunkt schon mehr als eine Stunde beendet gewesen, berichtete der DJV. Nach übereinstimmenden Schilderungen bedrängter Kollegen habe keine Bedrohungs- oder Eskalationslage mehr vorgelegen, die ein «derartig rigides und die Freiheit der Berichterstattung einschränkendes Vorgehen auch nur ansatzweise hätte rechtfertigen können». «Die Vorfälle zeigen erneut, wie wichtig es ist, dass Innenminister und der Medienverbund so schnell wie möglich die neuen Verhaltensregeln zwischen Polizei und Medien verabschieden», betonte Dippmann.
Die Polizeidirektion Leipzig rief am Montag Journalisten auf, Hinweise zu liefern und kündigte eine Prüfung der Vorwürfe an. «Unser Anspruch ist es, das aufzuarbeiten», sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Dazu brauche man aber konkrete Anhaltspunkte. Die vorhandenen Videos allein reichten nicht und ließen Fragen offen. Man stehe mit den entsprechenen Polizeieinheiten in Kontakt. Während des Einsatzes hätten sich nur drei Medienvertreter bei der Polizei gemeldet, ohne aber konkrete Hinweise zu geben, hieß es.
In den sozialen Medien wird bereits für die nächste Demonstration nach Leipzig aufgerufen. Am 23. Oktober 2021 soll es demnach eine «bundesweite Demonstration zur Verteidigung linker Politik» unter dem Motto «Alle zusammen. Autonom, widerständig, unversöhnlich» geben.