Ein gutes halbes Jahr ist der Cyberangriff auf den Landkreis Anhalt-Bitterfeld her. Ein gutes halbes Jahr ist auch Andy Grabner (CDU) dort Landrat - er hat das Amt von seinem Vorgänger Uwe Schulze (CDU) wenige Tage nach dem Hackerangriff im Katastrophenmodus übernommen. Seitdem ist viel passiert, aber viele Themen abseits des Angriffs und Corona sind in den ersten Monaten auf der Strecke geblieben, wie Grabner im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagt. Und der Cyberangriff wird auch noch im kommenden Jahr ein Thema bleiben.
Frage: Wann war Ihnen klar, dass die ersten Monate im Amt nicht so verlaufen, wie Sie sich das vielleicht vorgestellt haben?
Antwort: Ich denke mal, spätestens mit dem Ausrufen unseres Katastrophenfalls am Freitag vor meinem Amtsantritt. Also das war der 9. Juli dann. Da stand mehr oder weniger fest, dass es doch gravierende Einschnitte gibt, beziehungsweise, dass der Hackerangriff doch weitreichender war als wir das ursprünglich gedacht hatten. Und zu dem Zeitpunkt sind wir auch noch vom Worst-Case ausgegangen. Sprich wir dachten, es gibt gar keine Datengrundlage mehr. Aber Gott sei Dank hat sich das nicht ganz bewahrheitet. Wir können doch die eine oder andere Datenbank weiter nutzen.
Frage: Wenn Sie gewusst hätten, was da auf Sie zukommt, hätten Sie sich trotzdem zur Wahl gestellt?
Antwort: Ja. Einfach kann jeder. Also eine gewisse Herausforderung ist ja immer im Spiel.
Frage: Wie war der Start für Sie denn dann – im Katastrophenmodus?
Antwort: Es gibt sicherlich schönere Vorstellungen, sein Amt zu beginnen. Ich glaube aber, es gibt kaum einen Landrat, der zu Beginn von ARD, ZDF, RTL und wie sie alle hießen empfangen wurde. Aber das war nur eine Kleinigkeit am Rande. Ursprünglich hatte ich vorgesehen, die ersten zwei, drei Wochen zu nutzen, um bei jedem Mitarbeiter ins Büro zu schauen und mich vorzustellen. Aber das ist dann natürlich erst mal irgendwo ins Hintertreffen geraten.
Frage: Es hieß ursprünglich mal, dass der Cyberangriff zum Jahresende Geschichte ist. Ab wann sind Sie denn jetzt wieder zu 100 Prozent arbeitsfähig?
Antwort: Ich denke mal im April oder Mai, dann geht es wieder richtig los. Wir haben jetzt ein neues Netzwerk aufgesetzt und beginnen sukzessive die ganzen Anwendungen nach einer Prioritätenliste wieder zu installieren. Vorrang haben die relevanten Angelegenheiten, also sprich Führerscheinstelle, beispielsweise Sozialbereich, Zulassung, Bafög, Elterngeld und so weiter. Also da, wo die Bürgerinnen und Bürger betroffen sind. Das wollten wir als erstes zum Laufen bringen.
Frage: Aber das läuft ja auch schon jetzt größtenteils…
Antwort: Ja, das läuft jetzt schon. Trotzdem sind allein im Bereich Führerschein etwa 9000 offene Vorgänge, die alle irgendwo mit eingearbeitet werden müssen. Zum Beispiel der Führerscheintausch. Da sind viele betroffen. Gott sei Dank hat jetzt das Land entschieden, dass die Tauschfrist verlängert wird. Aber selbst das ist für uns wahrscheinlich nicht zu schaffen. Und dann sind da ja auch die kleinen Bereiche, die man gar nicht so ad hoc sieht: Jagdschein, Waffenschein und Angelschein. Das sind alle Themenfelder, die momentan nicht ausgeübt werden konnten.
Frage: Wird der Landkreis Anhalt-Bitterfeld ab nächstem Jahr dann der modernste Landkreis sein?
Antwort: Das hoffe ich. Zumindest was die Cybersicherheit betrifft gehen wir mal davon aus, dass wir dort ganz weit vorne sind. Wir stehen da auch im engen Kontakt mit dem BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik), um die Standards, die sie vorgeben, nicht nur zu erfüllen, sondern auch ein Stück weit drüber zu stehen. Und vielleicht kann es ja auch anderen Kommunen oder Landkreisen helfen, die Sensibilität ein bisschen weiter hervor zu kitzeln.
Frage: Ist das jetzt auch ein Stück weit eine Chance?
Antwort: Klar ergreifen wir das jetzt als Chance, aber wirklich nur dahingehend, unsere Systeme ein Stück weit sicherer aufzustellen. Alles andere war vertane Zeit und Mühe. Auf gut Deutsch zusätzliche Kosten. Wir rechnen mit einem Kostenblock von etwa zwei Millionen Euro, was aufgrund des Cyberangriffs tatsächlich aufgewendet werden muss. Und das Geld hätten wir gern in andere Ressourcen investiert.
Frage: Das andere große Thema, mit dem Sie sich beschäftigen müssen, ist Corona – teilweise hatte der Landkreis eine Inzidenz um die 1000. Wie besorgt sind Sie?
Antwort: Ja, na klar ist die Besorgnis da. Wir versuchen alles Mögliche, um die Impffrequenz zu erhöhen. Momentan scheitern wir so ein bisschen an der Erreichbarkeit von Impfstoff. Man kann aber immer nur an die Menschen appellieren, die momentan noch nicht geimpft sind. Selbst wenn das eine Infizierung nicht wirklich verhindert oder ausschließt, der Krankheitsverlauf wird ja beeinflusst. Das ist schon maßgeblich.
Frage: Wahrscheinlich sind viele andere Themen angesichts des Cyberangriffs und Corona auf der Strecke geblieben, oder?
Antwort: Ja, klar. Gerade auch die Digitalisierung der Schul-Infrastruktur als auch die Digitalisierung der Verwaltung wird ein großer Punkt werden. Irgendwann mittelfristig soll es möglich sein, dass der Bürger entscheidet: Gehe ich zum Amt, suche ich vielleicht noch mal Kontakt oder stelle ich den Antrag von zu Hause aus? Wir haben jetzt ein halbes Jahr verloren. Lassen Sie es mal insgesamt ein Jahr werden. Nichtsdestotrotz sind wir eigentlich optimistisch. Davon geht sicherlich die Welt nicht unter - oder der Landkreis.
Frage: Was nehmen Sie sich denn jetzt für das kommende Jahr vor?
Antwort: Also es kann nur besser werden. Sowohl im Hinblick auf die Pandemie als auch auf denen Cyberangriff. Ab dem 1.1. gibt es eine neue Organisationsstruktur. Parallel dazu wollen wir die Rechtsform unserer derzeit als Anstalt des öffentlichen Rechts geführtes Jobcenter ändern. Der Bürger soll weitestgehend davon nichts mitbekommen - außer dass er vielleicht den einen oder anderen neuen Ansprechpartner hat. Und dann gehen wir in die Entwicklung unseres Landkreises hoffentlich in eine positive Richtung.
Zur Person: Andy Grabner ist seit dem 12. Juli 2021 Landrat im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Zuvor war der Diplom-Verwaltungswirt lange Jahre Bürgermeister der gemeinsamen Stadt Sandersdorf-Brehna. Er ist 47 Jahre alt, verh