Seit Monaten erlässt Sachsen-Anhalts Landesregierung eine Verordnung nach der anderen, um das Coronavirus einzudämmen. Jetzt muss das Landesverfassungsgericht die Frage beantworten: Dürfen die das?
Das Landesverfassungsgericht hat sich erstmals intensiv in einer mündlichen Verhandlung mit den Corona-Regeln in Sachsen-Anhalt befasst. Dabei lenkte es den Fokus am Dienstag zum einen auf die Frage, ob die Regierung von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) so große Einschränkungen der Grundrechte per Verordnung erlassen darf. Zum anderen ging es darum, ob die Menschen die Texte überhaupt verstehen.
Wer die bis Mitte Dezember geltende Verordnung zur Rate zog, las darin, dass jemand mit bis zu fünf Personen zusammenkommen könne, nannte Verfassungsrichter Michael Germann ein Beispiel. Heißt das jetzt: Jeder darf fünf Menschen treffen oder es dürfen zusammen fünf Menschen sein? Die Vertreter der Landesregierung räumten ein, dass beide Auslegungen möglich sind, auch wenn letzteres gemeint sei.
Germann las minutenlang weitere missverständliche Formulierungen vor. Die Bürger als Adressaten der Regeln müssten verstehen, was gemeint sei und ob es sich um Appelle oder Verbote handele, sagte er - und mehrfach gaben ihm die Vertreter der Landesregierung Recht. Insgesamt seien die Maßnahmen zielführend und verhältnismäßig gewesen, weil sie im Herbst eine explosionsartige Ausbreitung des Virus beendet hätten, argumentierte Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD).
AfD klagt gegen 8. und 9. Verordnung
Die AfD im Magdeburger Landtag hat das Verfassungsgericht angerufen, weil sie die Corona-Regeln für überzogen und verfassungswidrig hält. Im aktuellen Fall wendet sie sich gegen die 8. Verordnung, die seit Mitte Dezember nicht mehr gilt. Die Oppositionsfraktion reichte aber auch Klage gegen die aktuelle 9. Verordnung ein.
Dabei lehnten die Richter noch am Dienstagnachmittag das Ansinnen der Kläger ab, mehrere derzeit geltende Corona-Regeln im Eilverfahren mit sofortiger Wirkung zu kippen. Je nach Ausgang des Verfahrens wären die Nachteile für den Infektionsschutz größer als die negativen Folgen für die eingeschränkten Rechte der Menschen. Dabei könnte die Verordnung am Ende entweder als verfassungsgemäß oder -widrig bewertet werden. Am 9. März soll intensiv zu den derzeit noch gültigen Regeln mündlich verhandelt werden, bevor am 26. März für beide AfD-Klagen zusammen eine Entscheidung verkündet wird.
Aus Sicht der AfD-Fraktion sind die strengen Maßnahmen, die Schließungen von Hotels und Gaststätten verordnen und die Zahl der Kontakte beschränken, unverhältnismäßig. Es stehe außer Frage, dass die Maßnahmen einen legitimen Zweck verfolgen, argumentierte der AfD-Anwalt. Um verhältnismäßig zu sein, müsste aber nachgewiesen werden, was einzelne Maßnahmen zum Infektionsschutz beitragen.
Wenn das Monate nach Beginn einer Pandemie nicht möglich sei, verschuldeten das nicht die Bürgerinnen und Bürger, sondern die Landesregierung, die sich nicht um die Beschaffung entsprechender Studien und Zahlen gekümmert habe, so die Kägerseite weiter.
Gesundheitsministerin Grimm-Benne hielt dagegen, dass es Studien zu Ansteckungswegen gebe. So sei bewiesen, dass sich das Virus gerade im Herbst und Winter besonders in engen und schlecht gelüfteten Räumen gut verbreite. Es sei nachweisbar, dass die Corona-Maßnahmen die explodierenden Fallzahlen gestoppt und eingedämmt hätten. Zudem stelle ein Urteil des Landesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1977 darauf ab, dass der Staat bei seinem Handeln auf den Schutz menschlichen Lebens abzielen müsse.
Landtag stärker beteiligen
Die Verfassungsrichter sprachen in der Verhandlung auch die Frage an, ob die Landesregierung befugt ist, so große Eingriffe in die Grundrechte per Verordnung zu regeln. Dabei ging es vor allem um das Bundesinfektionsschutzgesetz, das vor wenigen Monaten geändert wurde und genaue Kriterien festlegt, bei welchem Infektionsgeschehen welche Einschränkungen verordnet werden dürfen. Zu klären ist aus Sicht der Verfassungsrichter, ob diese Aufzählung ausreicht - und ob das alte Gesetz keinen Lockdown per Verordnung zuließ.
Immer wieder wird unter anderem gefordert, die Parlamente stärker in die Entscheidungen über die Maßnahmen einzubeziehen. So fordert unter anderem die oppositionelle Linke im Landtag einen ständigen Pandemie-Beirat. Auch die mitregierenden Grünen und die derzeit nicht im Magdeburger Parlament vertretene FDP wollen mehr Mitspracherecht für die Abgeordneten.
Zudem werden die Regeln seit einigen Monaten deutschlandweit von Gerichten überprüft. Das Oberverwaltungsgericht in Sachsen-Anhalt kippte bisher einzelne Verbote, erklärte die Eindämmungsmaßnahmen im Paket aber wiederholt für zulässig und verhältnismäßig.