Honoré Daumier war als Maler, Bildhauer und Grafiker nicht nur ein künstlerisches Multitalent, er ist vor allem einer der bedeutendsten Karikaturisten des 19. Jahrhunderts. Für die satirische Tageszeitung „Le Charivari“ schuf er 1841-1843 in Paris die „Histoire ancienne“, eine Serie von farbigen Lithographien, in denen er Szenen aus der griechischen und römischen Mythologie und Geschichte ironisch mit der spießigen Welt seiner Zeitgenossen vermixte. Daumiers Geniestreich ist hier der Doppelschlag, zu dem er ausholt – gegen die damals in Frankreich etablierte Kunstströmung des Klassizismus und gegen das arrivierte Bürgertum seiner Zeit:
Der Klassizismus, dessen Wegbereiter im Jahrhundert vor Daumier Johann Joachim Winckelmann war, avancierte während der Französischen Revolution zu einem progressiven künstlerischen Fanal. Jahrzehnte später jedoch, zu Daumiers Schaffenszeit während der Monarchie des Louis Philippe, verstaubte der Stil zu leerer Tradition und bediente vor allem den konventionellen Salon-Geschmack eines konservativen Bürgertums. Dies reizte Daumiers Spottlust. Das klassische Schönheitsideal der Antike karikierte er mit den Mitteln der Übertreibung: Die schönen antiken Helden werden ins Lächerliche gezogen, haben dümmliche Gesichter, dickleibige oder abgemagerte Körper, harren in albernen überzogenen Posen. Ihre Taten werden zum Teil ironisch ins Gegenteil gekehrt. Viele von ihnen tragen zeitgenössische Utensilien oder Kleidung und weisen Porträtzüge auf. Die Gestalten verkörpern zugleich also auch Daumiers Zeitgenossen, ein spießiges, profitgieriges und selbstherrliches Bürgertum, deren Schwächen und Laster der Karikaturist genüsslich aufs Korn nimmt. Um in der Ausstellung den Blick auf die ideale griechische Schönheit nicht zu verlieren, kontrastieren ausgewählte Abgüsse antiker Plastik die Karikaturen.