Eine gute Woche nach dem Großbrand im Migrantencamp Moria auf Lesbos sind offiziellen Angaben zufolge mittlerweile mehr als 5000 Menschen in das neue Zeltlager von Kara Tepe auf der griechischen Insel gegangen. "Wir wollen, dass wir bald - möglichst heute noch - weitere 5000 Menschen (im Zeltlager) unterbringen", sagte der griechische Bürgerschutzminister, Michalis Chrysochoidis, dem Athener Fernsehsender Skai am Freitag. Derweil teilte das Bundesinnenministerium mit, die Aufnahme von bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen aus dem abgebrannten Migrantencamp Moria werde möglicherweise noch vor Monatsende beginnen.
Vor dem Eingang des Lagers von Kara Tepe standen Hunderte Menschen, wie das Staatsfernsehen (ERT) zeigte. Viele von ihnen verbrachten die Nacht vor dem Eingang des Camps, um schnell aufgenommen werden zu können. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) erklärte, die Aktion verlaufe bislang ohne Gewaltanwendung seitens der griechischen Sicherheitsbehörden.
Bevor die Menschen ins Lager gehen, müssen sie einen Corona-Test machen. Nach vorläufigen Angaben der griechischen Gesundheitsbehörde wurden 187 Menschen Corona-positiv getestet, wie ein Sprecher der Behörde mitteilte. Sie wurden im Zeltlager isoliert. Humanitäre Organisationen bemängeln, es gebe nicht ausreichende Gesundheitsfürsorge im Lager. Dies dementierte die Regierung in Athen.
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, teilte in Berlin mit, die Aufnahme von bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen werde möglicherweise noch im September losgehen. Deutschland und zehn weitere europäische Staaten hatten sich nach der Brandkatastrophe vergangene Woche bereit erklärt, insgesamt 400 minderjährige Schutzsuchende aufzunehmen, die ohne ihre Eltern auf der griechischen Insel Lesbos gelebt hatten. Griechische Medien hatten berichtet, unter den 400 Kindern und Jugendlichen seien auch zwei junge Afghanen, die inzwischen festgenommen worden seien. Sie und vier weitere Afghanen stünden im Verdacht, die Feuer in Moria gelegt zu haben.
Nach dem Großbrand im Lager Moria waren vergangene Woche auf Lesbos gut 12 000 Migranten obdachlos geworden. Viele zögern, das neue Lager zu beziehen; sie befürchten, dort eingesperrt zu werden, und fordern stattdessen, von der Insel aufs Festland gebracht zu werden. Dies fordern auch humanitäre Organisationen. Athen hält sich aber an das Abkommen der EU mit der Türkei vom Jahr 2016. Demnach müssen alle Migranten auf den Inseln bleiben, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist. Wer kein Asyl bekommt, muss in die Türkei zurück.
Ein Sonderkommando der griechischen Polizei, darunter 70 Frauen, versucht seit Donnerstag, vor allem Familien zu überreden, ins Zeltlager zu gehen. Bislang laufe die Aktion gut, sagte ein Polizeioffizier im Rundfunksender Skai. Danach soll die Bereitschaftspolizei auch die Migranten aufsuchen, die sich vehement weigern, ins Lager zu gehen. Mit Flugblättern wurden alle informiert, dass der einzige Weg aus Lesbos über ein Asylverfahren führe. Und das gebe es nur, wenn man ins Zeltlager gehe.
Nach Informationen aus Polizeiquellen wird die schwierigste Phase in den kommenden Tagen eintreten. Es gebe rund 1500 radikale Migranten, die sich auf den Hügeln der Insel versteckt hielten. Die Asylanträge der meisten dieser Menschen seien abgelehnt worden. Sie sähen aber die chaotischen Zustände nach dem Brand des Lagers von Moria als eine letzte Chance, doch noch aus humanitären Gründen zum Festland gebracht zu werden. Die Polizei habe deswegen starke Einheiten auf Lesbos gebracht.
Unterdessen wurde auf der Insel Samos ein 42-jähriger Migrant aus Syrien festgenommen. Er soll vergangenen Dienstag die Migranten im Lager von Samos aufgerufen haben, Feuer zu legen. Er soll auch verantwortlich für einen Brand sein, der am Abend des 15. September außerhalb des Lagers von Samos ausgebrochen war. Die griechische Polizei hat bereits sechs Afghanen als mutmaßliche Brandstifter des Brandes von Moria auf der Insel Lesbos festgenommen.
Derweil verurteilte die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) "die willkürlichen und teils gewalttätigen Einschränkungen der Pressefreiheit durch die griechische Polizei" auf Lesbos. "Die Strategie der griechischen Behörden ist eindeutig: Sie wollen Journalistinnen und Journalisten teils sogar unter Einsatz von Gewalt davon abhalten, über ihren Umgang mit der Krisensituation in Moria zu berichten", monierte Geschäftsführer Christian Mihr. Das verletze nicht nur das Recht der Medienschaffenden, die menschenunwürdigen Zustände dort frei zu dokumentieren und zu bewerten. Es schränke auch das Recht der internationalen Öffentlichkeit auf eine unabhängige Berichterstattung über ein so drängendes aktuelles Thema ein.
Der Deutsche Journalisten-Verband forderte das Auswärtige Amt auf, sich im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für die freie Berichterstattung aus Moria einzusetzen. "So chaotisch die Lage auf Lesbos nach den Bränden im Flüchtlingslager Moria auch sein mag, rechtfertigt das keine Polizeischikanen gegen Reporter", sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. "Berichterstattung darf nicht an Polizeiknüppeln scheitern."