Androgyner Kurzhaarschnitt, große Augen unter langen Wimpern und eine spindeldürre Figur: Twiggy verkörperte die Swinging Sixties in London. Jahrzehnte später, Anfang dieses Jahres, ehrte die Queen das weltbekannte Supermodel für seine Verdienste um Mode, Künste und Wohltätigkeit als «Dame Commander of the Order».
Eigentlich müsste man sie also ganz korrekt mit Dame Lesley ansprechen, doch im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur besteht die Modeikone auf Twiggy. Freunde nannten sie als Teenager scherzhaft «Ästchen» - Twiggy -, weil sie sehr dünne Beine hatte. Der Name blieb hängen. Nun feiert Dame Lesley Lawson an diesem Donnerstag (19. September) ihren 70. Geburtstag bei einem privaten Abendessen mit Familie und Freunden.
Twiggy wuchs als jüngste Tochter in einer Londoner Arbeiterfamilie auf. Der Vater arbeitete als Zimmermann in Filmstudios, die Mutter nähte alle Klamotten selbst. Twiggy jobbte mit 16 im Friseursalon und träumte von einem Modestudium an der Kunstakademie. «Ich war ein Mod», erzählt sie stolz über ihre Jugend. Die britische Mod-Szene entstand als Rebellion der Arbeiterklasse gegen Autoritäten Ende der 50er Jahre. Twiggy hing mit Rockern herum, trug wochentags Schuluniform und ging samstags bis halb elf mit ihren Freundinnen aus. Länger erlaubte ihr Vater nicht.
Doch all das änderte sich rasant, als ihr ein Edelfriseur den bekannten markanten Haarschnitt verpasste und ihr Foto im Salon aushing. Eine Redakteurin der «Daily Mail» erklärte die 16-Jährige kurzerhand zum «Gesicht von 1966». «In diesem Moment veränderte sich mein Leben offensichtlich für immer», sagt Twiggy im dpa-Interview.
Paris, New York, Japan. Über Nacht wurde das Mädchen aus der Arbeiterfamilie zum Weltstar. Die einflussreiche Chefredakteurin der amerikanischen «Vogue», Diana Vreeland, nahm sie unter ihre Fittiche und ebnete ihr den Weg mit Modeshootings und Titelseiten. Twiggy erinnert sich an ihren Empfang in New York, drei Jahre nachdem mit den Beatles die «British Invasion», also der Erfolg britischer Bands in den USA, begonnen hatte. «Die ganze Presse war da und es gab Mädchen mit Transparenten, die sagten: Welcome Twiggy! Und so wurde ich vom Model zu einer globalen Persönlichkeit.»
Ihr Foto wurde sogar in eine Zeitkapsel eingeschlossen und in den Weltraum geschickt. Das junge Model traf auch Avantgardisten wie Andy Warhol: «Er hat mich eigentlich zu Tode erschreckt, er war so sonderbar. Ich war nur ein nettes kleines Kind, nicht sehr raffiniert. Ich hatte noch nie solche Leute getroffen.» Dann gaben Sonny und Cher ihr zu Ehren eine Party in Los Angeles, mit Filmstars wie Steve McQueen. «Es war übergeschnappt. Es war verrückt», so Twiggy heute.
Ihr Vater stellte sicher, dass seine Teenager-Tochter bei den Fotoaufnahmen niemals allein war, um sexuelle Belästigungen zu vermeiden. «Ich hatte keine Leibwächter, aber mein erster Freund war wirklich ein Schutz. Bei jedem Modeshooting war jemand da oder eine meiner Schwestern kam mit.»
Über Umwege kam sie schließlich doch noch zum Modedesign und entwarf Jahre später Kollektionen für die britische Kaufhauskette Marks & Spencer und den amerikanischen Sender Home Shopping Network (HSN).
Aber zunächst gab ihr Ken Russell eine Chance in seinem Film «The Boy Friend». «Ich war sehr nervös. Aber man kann alles lernen, und ich hatte einen wunderbaren Lehrer in Ken. Er hat mir die Tür in eine neue Welt geöffnet», berichtet sie. Und auch damit hatte Twiggy gleich Erfolg: Für die Rolle bekam sie zwei Golden Globe Awards.
Dann bekam sie einen Plattenvertrag, ging nach New York und eroberte den Broadway 1983 mit dem Musical «My One And Only». «Ich konnte viele, viele Nächte nicht einschlafen, weil ich dachte, ich kann das nicht. Aber du weißt, du musst über diese Ängste hinwegkommen und musst dich ihnen stellen.» Twiggy wurde für den Tony Award nominiert und nennt die achtzehnmonatige Laufzeit am Broadway heute das «Highlight» ihrer Karriere.
Immer versuchte sie, ihr Privatleben zu schützen: «Mit 16 Jahren wurde ich weltberühmt. Daran kann ich nichts ändern. Aber ich habe die Entscheidung getroffen, dass ich einen möglichst normalen Lebensstil haben möchte.» Vor allem wollte sie ihre Tochter schützen. «Wir alle haben die Tragödien gesehen, die mit Ruhm einhergehen können. Es kann wunderbar sein, aber es kann auch sehr, sehr destruktiv sein», sagt Twiggy.
Die ehemalige Jurorin für die Show «America's Next Top Model» schwört auf Pilates, um fit zu bleiben. Sie kann sich schon lange aussuchen, was sie macht, wenn sie nicht gerade die Zeit mit ihrer vierjährigen Enkelin genießt. Twiggy arbeitet unter anderem an einem Film- und einem Fernsehprojekt und stellt derzeit ein neues Album zusammen.
«Ich habe nicht den Ehrgeiz, berühmt zu sein, weil mir das vor langer Zeit passiert ist. Ich liebe es, zu Hause zu sein. Ich liebe es, zu kochen. Ich liebe es, zu lesen.» Und natürlich arbeitet sie weiterhin als Model. «In der Vergangenheit sind ältere Frauen im Hintergrund verschwunden, und jetzt gibt es so viele großartige Frauen über 50 und über 60 - wenn ich sie inspirieren kann, finde ich das fabelhaft.»