Oberbürgermeisterin von Aachen Sibylle Keupen (r, parteilos) spricht bei der Verleihung des Karlspreises vor Ehrengästen und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (M).

Aachen: Selenskyj erhält den Karlspreis

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist erstmals seit dem russischen Angriff auf sein Land zu politischen Gesprächen nach Deutschland gereist. In Deutschland war Selenskyj zuletzt wenige Tage vor Kriegsbeginn im Februar 2022 bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die ersten zehn Monate nach der russischen Invasion hatte er das Land gar nicht mehr verlassen. Das änderte er Ende vergangenen Jahres. Inzwischen war der ukrainische Präsident schon in Washington, Warschau, Paris, London, Brüssel, Helsinki und Den Haag.

«Bereits in Berlin», twitterte Selenskyj am frühen Sonntagmorgen. «Waffen. Starkes Paket. Luftverteidigung, Wiederaufbau. EU. Nato. Sicherheit.», fügte er hinzu - Stichworte für die möglichen Gesprächsthemen in Berlin.

Selenskyj bei Karlspreis-Verleihung - Wüst: «Ein Held Europas»

Nun ist der ukrainische Präsident inzur Karlspreis-Verleihung in Nordrhein-Westfalen eingetroffen. Nach dpa-Informationen wurde er von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begleitet und nach der Landung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) empfangen. Selenskyj wird zur Verleihung des Preises in Aachen erwartet.

«Ein Held Europas und ein großer Kämpfer für die Freiheit - willkommen in NRW», schrieb Wüst am Sonntag auf Twitter. Selenskyjs Teilnahme an der Zeremonie in Aachen war monatelang ungewiss. Der Präsident des Landes, das sich gegen den Angriffskrieg Russlands wehrt, gilt als sehr gefährdet. Die Zeremonie im Aachener Rathaus wird von extrem strengen Sicherheitsauflagen begleitet.

Den Karlspreis erhalten Selenskyj und das ukrainische Volk für ihre Verdienste um Europa. Zur Begründung hieß es, dass das ukrainische Volk unter Selenskyjs Führung nicht nur die Souveränität seines Landes und das Leben seiner Bürger verteidige, «sondern auch Europa und die europäischen Werte».

Die Redner im Krönungssaal des Aachener Rathauses sind am Sonntag Kanzler Scholz, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki. 700 Gäste sind geladen. Der Karlspreis erinnert an Karl den Großen (748-814). Aachen war seine Hauptresidenz.

Anreise über Rom

Ein Airbus A319 der Flugbereitschaft der Luftwaffe hatte Selenskyj amSamstagabend in Rom abgeholt, wie die Luftwaffe auf Twitter mitteilte. Zwei Eurofighter seien vom Fliegerhorst Lechfeld in Bayern gestartet und «eskortierten ihn sicher nach Berlin», hieß es weiter. Die Luftwaffe veröffentlichte auch zwei Fotos - eines aus dem Fenster des Flugzeugs mit Blick auf einen der begleitenden Kampfjets, das andere mit Blick auf den Airbus.

Landesweiter Luftalarm in der Ukraine

Am frühen Sonntagmorgen wurde in der Ukraine ein landesweiter Luftalarm ausgelöst. Verantwortlich dafür sollen örtlichen Medienberichten zufolge Raketenstarts von mehreren strategischen Bombern der russischen Luftwaffe aus dem Bereich des Kaspischen Meeres gewesen sein. Informationen aus dem Kriegsgebiet lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Bereits während des Eurovision Song Contests (ESC) war am Samstagabend die Heimatstadt der ukrainischen ESC-Teilnehmer Tvorchi von Russland angegriffen worden. Kurz vor dem Auftritt des Duos in Liverpool erschütterten Explosionen russischer Raketen die Stadt Ternopil in der Westukraine, wie der Vorsitzende des Gebietsrats, Mychajlo Holowko, mitteilte. Über Schäden und Opfer war zunächst nichts bekannt.

Neues Milliarden-Programm zur Unterstützung mit Waffen

Seit Kriegsbeginn genehmigte die Bundesregierung Waffenlieferungen für 2,75 Milliarden Euro. Vorbereitet wurde der Besuch in Deutschland nun mit der Zusage weiterer militärischer Unterstützung für die Ukraine im Wert von zusätzlichen 2,7 Milliarden Euro. Unter anderem sollen 20 weitere Marder-Schützenpanzer, 30 Leopard-1-Panzer und vier Flugabwehrsysteme Iris-T SLM von der deutschen Rüstungsindustrie bereitgestellt werden, wie das Verteidigungsministerium am Samstag mitteilte.

Pistorius bekräftigt: «As long as it takes»

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bekräftigte bei der Verkündung des neuen Pakets: Deutschland werde «jede Hilfe leisten, die es leisten kann - as long as it takes». Nach eigenen Angaben hat die Bundesregierung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 bereits Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von 2,75 Milliarden Euro für die Ukraine genehmigt. Hinzu kommt weiteres Material, das nicht genehmigungspflichtig ist. Nach Pistorius' Angaben summiert sich die Hilfe auf «etwas über vier Milliarden Euro».

Deutsche Bevölkerung bei Waffenlieferungen gespalten

Die deutsche Bevölkerung ist in der Frage der Waffenlieferungen gespalten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sagten 39 Prozent, es seien bereits jetzt zu viele Waffen und andere Rüstungsgüter in die Ukraine geliefert worden. 28 Prozent sind mit der bisherigen Menge einverstanden und 17 Prozent meinen, die Ukraine müsse militärisch noch stärker unterstützt werden.

Bei der aktuell kontrovers diskutierten Lieferung von Kampfjets westlicher Bauart überwiegt aber die Ablehnung. 49 Prozent sind dagegen, nur 31 Prozent dafür. Die Ukraine wünscht sich amerikanische F16-Flugzeuge, die die Bundeswehr nicht hat. Die ukrainische Regierung hofft aber, dass Deutschland als eines der mächtigsten Nato-Länder ihre Forderung unterstützt. Scholz hat die Lieferung von Kampfjets westlicher Bauart bisher als nicht sinnvoll abgelehnt.

Seite teilen