Die Corona-Pandemie in Sachsen verschärft sich rasant. Mit 4469 Neuinfektionen gegenüber dem Vortag wurde am Mittwoch, 3. November 2021 ein neuer Tagesrekord erreicht, wie das Sozialministerium auf Anfrage bestätigte. Die Betten von Normal- und Intensivstationen der Kliniken füllen sich immer schneller mit Corona-Patienten. Die Lage ist aus Sicht der sächsischen Krankenhausgesellschaft (KHG) besorgniserregend. Die Vorwarnstufe ist erreicht, da der Belastungswert von 650 Betten auf Normalstation an fünf aufeinander folgenden Tagen überschritten wurde, und gilt nach Ministeriumsangaben ab Freitag.
Der Normalbetrieb in den Krankenhäusern müsse heruntergefahren werden, um die benötigten Betten für Covid-19-Erkrankte bereitzuhalten, sagte der stellvertretende Geschäftsführer der KHG, Friedrich München, in Leipzig. Derzeit stünden landesweit noch etwa 200 Betten auf den Intensivstationen für Covid-19-Patienten zur Verfügung. Dazu komme, dass seit dem Vorjahr bis zu zehn Prozent des Pflegepersonals abgewandert seien. «Wenn die derzeitige Entwicklung so weitergeht, kriegen wir eine kritische Situation.»
Laut der aktuellen Übersicht des Sozialministeriums sind 920 der 1300 Betten auf Normalstationen und 224 von insgesamt 420 auf Intensivstationen mit Covid-19-Patienten belegt. Die Zahl der Neuinfektionen je 100000 Einwohner binnen sieben Tagen lag am Mittwoch bei 289,7. Damit ist der Freistaat weiter das Bundesland mit der zweithöchsten Wocheninzidenz nach Thüringen (338,2) - und Schlusslicht bei der Impfquote mit 56,8 Prozent bei Zweitimpfungen.
In den Oberlausitz-Kliniken Bautzen und Bischofswerda werden planbare Operationen abgesagt oder verschoben, spätestens ab Donnerstag soll es einen Besucherstopp geben, sagte ein Sprecher. Am Klinikum Chemnitz und der Paracelsus Klinik Adorf-Schöneck gilt dieser bereits seit Dienstag. Auch bei den Elblandkliniken gibt es nach Angaben einer Sprecherin Einschränkungen und Verschiebungen im Normalbetrieb.
Das Städtische Klinikum Dresden sorgt sich angesichts stark steigender Einweisungen von Corona-Patienten um sein Personal. «Unsere Mitarbeiter der Pflege sind hochmotiviert, da Corona-Patienten eine besondere fachliche Herausforderung bieten. Ihr Erfahrungsschatz und das Wissen sind gewachsen», sagte Michael Mendt, Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, der Deutschen Presse-Agentur. Dennoch sei die psychische Belastung nicht zu unterschätzen. «Ich habe die Sorge, dass das System und unsere Mitarbeiter ausbrennen.»
Die sehr schnell und sehr stark steigenden Infektionszahlen verdeutlichten «eindrucksvoll» die aktuelle Lage, erklärte das Sozialministerium und appellierte erneut, «sich jetzt dringend impfen zu lassen, um sich und andere vor einer Infektion zu schützen». Es sei ausreichend Impfstoff vorhanden. «Dank eines engmaschigen Monitorings werden die Impfstoffe gemäß Kapazität und Nachfrage so verteilt, dass sie bedarfsgerecht durch die mobilen Teams verimpft werden können», hieß es.
Sachsens Regierung will die Schutzmaßnahmen verschärfen und die 2G-Regel (geimpft oder genesen) für Gastronomie, Veranstaltungen im Innenbereich oder Großveranstaltungen wie Fußballspiele einführen. Die neue Schutzverordnung soll am Freitag beschlossen werden und ab Montag gelten.
Einige bisher Ungeimpfte denken offenbar um. «Wir werden flächendeckend überrannt», sagte Kai Kranich vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Vor allem in den Städten müssten Leute weggeschickt werden, weil der Impfstoff für den Tag schnell aufgebraucht ist. «Aber man muss auch sagen, Zeit war genügend dafür und absehbar, dass sich die Lage ändern wird», meinte ein Sprecher der Landesärztekammer.
Seit Beginn der Pandemie im März 2020 wurden landesweit 336279 laborbestätigte Corona-Infektionen registriert. Die Zahl der mit oder an dem Virus Gestorbenen erhöhte sich seit Dienstag um 21 auf insgesamt 10367. 301320 Menschen gelten als genesen.
Fast auf den Tag ein Jahr nach der eskalierten «Querdenken»-Demo in Leipzig wollen Gegner der Corona-Maßnahmen an diesem Wochenende erneut in der Messestadt protestieren. Die «Bewegung Leipzig» hat für Samstag, 6. Novemberunter dem Motto «Freiheit, Gleichheit, Solidarität» zu einer Kundgebung aufgerufen. Angemeldet waren ursprünglich bis zu 3000 Teilnehmer. Zudem war ein Marsch über den Ring geplant. Diesem Vorhaben hat die Stadt als Versammlungsbehörde am Mittwoch, 3. Novemberaber einen Riegel vorgeschoben, nachdem nun die Bettenbelegung von Covid-19-Patienten auf Normal- und Intensivstationen an mehreren Tagen nacheinander überschritten wurde.
Nach Erreichen der Vorwarnstufe in Sachsen sind Versammlungen ausschließlich ortsfest zulässig und auf eine Teilnehmerzahl von maximal 1000 Personen begrenzt, wie die Stadtmitteilte. Geimpfte oder genesene Personen werden bei der Ermittlung der Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mitgezählt.
Es sei nicht zu kontrollieren, wie viele Menschen tatsächlich am Samstag zu der Demonstration kommen werden, betonte der Versammlungsleiter von der «Bewegung Leipzig», Bernd Ringel, am Mittwoch. «Wenn es aber ausufert, werde ich die Versammlung gemeinsam mit dem Ordnungsamt und der Polizei beenden».
Die Organisatoren riefen zu einem friedlichen Protest auf, betonten aber gleichzeitig, dass sie keinen Einfluss auf Einzelne hätten, die sich möglicherweise nicht daran halten. Offen sei auch noch, ob gegen einen Auflagenbescheid rechtliche Schritte eingeleitet werden. Dieser lag am Mittwoch aber noch nicht vor.
Da für den Samstag auch zahlreiche Gegendemonstrationen angemeldet wurden, bereitet sich die Polizei auf einen Großeinsatz vor. Neben Kräften der sächsischen Bereitschaftspolizei stehen Polizeihubschrauber, die Wasserwerfer-Staffel und die Reiterstaffel bereit. Außerdem wurden Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern angefordert, wie die Polizei Leipzig mitteilte.
Ein Bündnis aus Vereinen, Initiativen, Parteien und Gewerkschaften hat sich formiert, um sich der Demonstration von Gegnern der Corona-Maßnahmen entgegenzustellen. Es sei Pflicht und Verantwortung aller zivilgesellschaftlichen Gruppen, gegen die sogenannte Querdenker-Szene sowie andere Gruppierungen, die die Existenz der Pandemie leugnen oder relativieren, vorzugehen, sagte Marie Müser von der Grünen Jugend Leipzig am Mittwoch. Geplant sind am Samstag Kundgebungen sowie ein Fahrradaufzug in der Innenstadt.
Am 7. November 2020 hatten Zehntausende «Querdenker» gegen die Corona-Maßnahmen in Leipzig demonstriert. Als die Versammlung wegen zahlreicher Verstöße gegen die Auflagen aufgelöst wurde, eskalierte die Situation. Die Demonstranten erzwangen schließlich einen Marsch über den Innenstadtring nach dem Vorbild der Friedlichen Revolution von 1989.