Sachsen fährt wegen massenhafter Corona-Infektionen das öffentliche Leben weiter herunter. Wie die Regierung am Dienstag in Dresden mitteilte, wird der bisher geltende Teil-Lockdownab kommenden Montag verschärft. Schulen, Kitas, Horte und viele Geschäfte sollen dann schließen. Geöffnet bleiben dagegen Lebensmittelgeschäfte und Geschäfte für den Grundbedarf wie Apotheken, Drogerien und Friseure. Das Virus habe eine viel stärkere Kraft als im Frühjahr, die Menschen würden die Lage aber bei Weitem nicht so ernst nehmen, betonte Regierungschef Michael Kretschmer (CDU): «Wir müssen dieses Land zur Ruhe bringen.» Dies sei die einzige Möglichkeit, um die Infektionen zu stoppen.
Kretschmer sprach von einschneidenden Maßnahmen. Man habe es in Sachsen mit milderen Mitteln versucht: «Wir sehen, dass diese nicht greifen (...) Die Bedrohungslage wird nicht so empfunden, wie sie tatsächlich ist.» In Sachsen seien die Infektionen sprunghaft gestiegen. Bisherige Maßnahmen würden nicht ausreichen. Kretschmer sprach von handfesten und ernsten Problemen. Zugleich räumte er ein, dass ein schnelleres Handeln besser gewesen wäre. Jetzt handle man aber in aller Entschiedenheit.
Kretschmer zufolge ist die Situation in den Krankenhäusern nicht nur angespannt, sondern extrem gefährlich. Die neue Krankheitsform bringe eine extreme Belastung. Mancherorts gebe es keine Intensivbetten mehr. Betroffene müssten innerhalb des Landes verlegt werden. Deshalb müsse man nun alles tun, die Zahl der Infektionen zu senken. Am Freitag will das Kabinett die Maßnahmen beschließen. An Einzelheiten wird noch gearbeitet, hieß es. Man habe die Menschen aber schon am Dienstag informieren wollen, damit sie sich auf die Situation vorbereiten können.
Ab Montag soll auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen eine Maskenpflicht gelten - als «Botschaft der Rücksichtnahme», wie es Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther (Grüne) formulierte. Jeder könne einen kleinen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten. Für Schülerinnen und Schüler gilt «häusliches Lernen». Für Kitas soll es einen Notbetrieb geben. Pflegeeinrichtungen darf man nur noch bei Vorlage eines Schnelltestes besuchen. Versammlungen sind weiter möglich, können aber eingeschränkt werden. Auch der Gesundheitsschutz sei ein Grundrecht, hieß es. Kretschmer plädierte dafür, Demonstrationen bei Verstoß gegen Auflagen aufzulösen.
Nach Darstellung von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hat die Unvernunft einiger weniger zu den harten Regeln geführt. Die Infektionszahlen seien vor allem dort besonders hoch, wo es die größte Ablehnung von Maßnahmen gebe: «Es geht um die Frage von Vernunft und Unvernunft. Sachsen muss wieder das Land der Vernunft sein.» Dulig warb dafür, zu Weihnachten Reisen zu unterlassen, die nichts mit Familienbesuchen zu tun haben. Das Weihnachtsfest sollen bis zu zehn Menschen feiern dürfen. Die Regelung gilt aber nur für den Zeitraum zwischen dem 23. und 27. Dezember jeweils 12.00 Uhr.
Das öffentliche Leben wird freilich nicht gänzlich ruhen. Die Arbeit in Industrie- und Handwerksbetrieben oder auf Baustellen geht weiter. Geöffnet bleiben der Großhandel, Banken, Sparkassen, Getränkemärkte, Märkte für Tierbedarf, Poststellen, Tankstellen, Waschsalons, Kfz- und Fahrradwerkstätten, Reinigungen und Waschsalons, Zeitungsläden oder Optiker und Hörgeräteakustiker.
In ersten Reaktionen gab es für denLockdownVerständnis, aber noch mehr Kritik. «Man kann eine Gesellschaft nicht in ein künstliches Koma versetzen», erklärte AfD-Fraktions- und Parteichef Jörg Urban und attestierte der Regierung eine Serie von Fehlern. Für die Linken war es dagegen höchste Zeit für ein entschlossenes Vorgehen,
Sachsen hatte sich zuletzt zum größten Corona-Hotspot entwickelt. Inzwischen sind 1298 Todesfälle zu beklagen. Die Landkreise Bautzen (500,7) und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (508) übersprangen nach Angaben des Robert Koch-Institutes (RKI) wieder die Marke von 500 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen. Bundesweit hatte lediglich der Landkreis Regen in Niederbayern am Dienstag mit 578,7 einen höheren Wert. Für Sachsen wies das RKI am Dienstag eine Sieben-Tage-Inzidenz von 319 aus, bundesweit waren es 147.
In Sachsen-Anhalt spielen solche harte Maßnahmen noch keine Rolle. Allerdings gibt es Silvester voraussichtlich keine Lockerungen der Corona-Regeln. «Silvester kann man schon imPrinzip ausbuchen, da werden wir bei der straffen Regelung mit Sicherheit bleiben. Über Weihnachten sind wir noch in der Entscheidungsphase, ob wir bei der angekündigten Möglichkeit bis zu zehn Personen bleiben», sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nach einer Kabinettssitzung. Das Kabinett werde in der kommenden Woche entscheiden. Aktuell dürfen sich maximal fünf Menschen treffen, Kinder unter 14 Jahren nicht mitgezählt.
Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) kündigte an, man sehe sich die Zahlen in dieser Woche an. Wenn die sich nicht verbesserten, werde die Verordnung mit den fünf Personen fortgeschrieben. «Dann wird es nicht das geben, was man ja in Anführungsstrichen als Lockerung vor Weihnachten gesehen hat mit den zehn Personen.» Ursprünglich war geplant, dass sich über die Feiertage bis zu zehn statt fünf Menschen treffen können sollen. Das war aber immer abhängig gemacht worden vom Infektionsgeschehen. Haseloff und Grimm-Benne appellierten an die Bürgerinnen und Bürger, die Regelungen einzuhalten, um die Infektionszahlen zu senken.
Grimm-Benne sagte, sie blicke mit Sorge auf die Region an der Landesgrenze zu Sachsen, wenn dort ein harter Lockdown vollzogen werde. Es müsse unbedingt gemeinsame Regelungen geben, damit es keinen Einkaufstourismus ins südliche Sachsen-Anhalt gebe. «Dann müsste man nämlich gucken, ob man im Burgenlandkreis und im Süden tatsächlich auch ähnliche Regelungen trifft, damit das nicht grenzübergreifend - in Anführungsstrichen - zu einem Tourismus kommt.»