Der kleine Chase liegt auf einerDecke, die Augen sind geschlossen, der Mund leicht geöffnet.Am 11.11.2020 ist er auf die Welt gekommen, bei der Geburt wog er 1.850 Gramm. So steht es jedenfalls auf dem Bändchen am Handgelenk. Wer das Frühchen auf den Arm nimmt, hört sein Herz schlagen.Das Köpfchen muss gehalten werden, sonst kippt es nach hinten.
Chase mutet wie ein echtes Baby an, ist es aber nicht: Das Herz istbatteriebetrieben, der Körper besteht aus einem Bausatz und ist mit Watte und Granulat gefüllt.Zusammengebaut und täuschend echt bemalt hat die Puppe Jasmin Karl aus Loxstedt (im niedersächsischen Landkreis Cuxhaven). «Ich fand den Bausatz so wunderschön», sagt die 41-Jährige.Um einen Kinderersatz geht es nicht, sie hat sechs Kinder - das älteste ist 20, dasjüngste sieben.«Ich war schon immer fasziniert von Puppen», sagt sie. Unterstützung bei ihrem ungewöhnlichen Hobby bekommt sie von ihrer elfjährigen Tochter Finja. Stundenlang können die beiden zusammensitzen und Schicht für Schicht die Acrylfarbe mit Schwämmchen auf die Oberflächen tupfen, damitsie wie Babyhaut aussieht. Zu den Utensilien gehört auch ein Öl, das wie Babyhaut duften soll.«Das macht das noch realistischer.»
Rebornbabysnennen sich die zwei Dutzend Puppen, die in ihrem Haus dekorativ platziert sind.Vor drei Jahren entdeckte sie die lebendig anmutenden Puppen im Internet, seitdem hat sie eine nach der anderen zusammengesetzt, mit Glasaugen, Haaren,Wimpern, Nabelschnur und rosiger Farbe auf Gesicht, Ärmchen und Beinchen versehen. Karls Leidenschaft kann jedoch nicht jeder nachvollziehen.«Du bist freakig», habe eine Freundin mal zu ihr gesagt. Sie weiß, dass es Reborn-Anhängerinnen gibt, die mit ihren Puppen im Kinderwagen spazieren gehen, sie warm anziehen, wenn es kalt ist, sie abends im hergerichtetenPuppenzimmer schlafen legen.«Da bin ich raus», sagt Jasmin Karl bestimmt.«Ich spiele nicht mit den Reborns». Das überlässt sie ihren jüngsten Töchtern.
Wenn sie mit den beiden und den Puppen unterwegs ist, liebt sie jedoch die irritiertenbis schockierten Blicke der Passanten.«Ein Mann ist mal hinter meiner kleinen, schwerbehinderten Tochter hinterhergegangen, weil er Angst hatte, dass sie das Baby fallen lässt. Er dachte, es sei echt.»
Eine, die sich mit Rebornpuppen beruflich auskennt, istLeokadiaWolfers. Sie veranstaltetdie Puppen- und Bärenmesse im hessischen Eschwege. Vor 15 Jahren seien die Rebornbabys aus Amerika nach Deutschland gekommen.«Vor zehn Jahren ist die Nachfrage explodiert», berichtet sie. Inzwischen machten die Rebornpuppen auf ihren Messen 70 Prozent der Ware aus.«Ich sehe das etwas mit Distanz», sagt die 69-Jährige, dieselbereine Schwäche fürantikePuppen hat. Als plötzlich die Besucherinnen Kinderwagen durch die Ausstellung schoben, griff sie durch.«Es war kein Durchkommen mehr. Jetzt haben wir einen Parkplatzeingerichtet. Dann müssen sie ihre Lieblinge im Tragetuch tragen.»
Jasmin Karl und ihre Freundin Silvia Mangels haben das Treiben der Puppenmütter auf der Messe auch schon erlebt.«Wenn man sich nicht mit dem Thema beschäftigt, könnte man meinen, die sind leicht durchgeknallt», sagt Mangels. Andererseitsfinde sie es in Ordnung, wenn sich eine Frau mit unerfülltemKinderwunsch Ersatz verschaffe.
Die gelernte Kinderpflegerin Mangels hatdrei Kinder, von denen zwei noch bei ihr wohnen. Ihren fünfjährigen Enkel hat sie in Dauerpflege. Vier Rebornpuppen besitzt die 47-Jährige.«Ich finde sie einfach toll.» Wenn sie manchmal abends gestresst auf dem Sofa liege, nehme sie sich eine Puppe und lege sie sich auf die Brust.«Das beruhigt.»
Manche hätten ihr schon gesagt, sie fänden die lebensechten Puppen gruselig.«Das kann ich nicht nachvollziehen: Sie sind doch süß», sagt Mangels.Ihre Freundin Jasmin hat zwei Halloween-Puppen gemacht: mit Wunden und rot unterlaufenen Augen.«Das ist gruselig.»Die einen spielten eben mit Eisenbahnen, «andere werfen Farbe an die Wand, um dort ein Muster zu haben».Jeder sollte sein Hobby haben können, meint Silvia Mangels:«Ich brauche keinen Psychologen.»
Hier beschreibt eine junge Frau, was sie an Rebornbabys toll findet