Leiharbeit in der Fleischindustrie steht spätestens seit der Corona-Pandemie im Fokus der Öffentlichkeit. Auch Ermittlungsbehörden interessieren sich für Leiharbeitsfirmen und haben eine Großaktion wegen des Verdachts der illegalen Einschleusung gestartet.
Die Bundespolizei hat am Mittwoch in fünf Bundesländern mehr als 60 Wohn- und Geschäftsräume wegen des Verdachts der illegalen Einschleusung von Arbeitskräften für die Fleischindustrie durchsucht. Bei der Razzia waren rund 800 Beamte im Einsatz - vor allem in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, wie ein Sprecher der Bundespolizei Mitteldeutschland sagte. Weitere Durchsuchungen gab es in Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen.
Im Fokus der Ermittler steht ein Konstrukt aus verschiedenen Zeitarbeitsfirmen, über die in den vergangenen sechs Monaten mindestens 82 Menschen geschleust worden sein sollen. Laut der Bundespolizei gibt es zehn Hauptbeschuldigte im Alter von 41 bis 56 Jahren. Darunter sind acht Männer und zwei Frauen.
Es gehe um den Vorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Einschleusung und der Urkundenfälschung. Beschuldigt sind zwei Firmen, die unabhängig voneinander, aber nach demselben Muster vorgehen sollen. Sie sollen hauptsächlich rumänische Staatsbürger mit falschen Dokumenten nach Deutschland geholt haben. Zudem sollen mit gefälschten Immatrikulationsbescheinigungen sogenannte Scheinstudenten als «Student in Ferienarbeit» gebracht worden sein. Die Beschuldigten sollen Unterkünfte zur Verfügung gestellt, Fahrdienste organisiert und die Arbeiter bei Kontoeröffnungen und Behördengängen unterstützt haben.
Am frühen Mittwochmorgen durchsuchte die Bundespolizei die Firmensitze der Zeitarbeitsfirmen, die Wohnräume der Firmeninhaber, aber auch Arbeiterunterkünfte. In Weißenfels im Süden Sachen-Anhalts seien es 49 Unterkünfte gewesen, in Bernburg drei. Deutschlands größter Fleischkonzern Tönnies betonte, man sei von der Razzia nicht betroffen. «An unserem Standort in Weißenfels gibt es bisher keine Durchsuchung», sagte ein Unternehmenssprecher. Das gelte auch für weitere Tönnies-Standorte in Deutschland. Ein Sprecher der Bundespolizei in Halle sagte, die Vernehmungen und Befragungen sollten ergeben, für welche Unternehmen die Arbeiter tätig waren.
Die Beamten trafen bei den Durchsuchungen mehr als 20 Personen an, bei denen der Verdacht besteht, dass sie mit gefälschten Dokumenten oder als «Scheinstudenten» illegal beschäftigt wurden, hieß es weiter. In den durchsuchten Objekten wurden zahlreiche Beweismittel wie Datenträger, Geschäftsunterlagen und Dokumente sichergestellt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bekräftigte, Leiharbeit und Werkverträge müssten ohne Aufweichungen und Verzögerungen verboten werden. Sie seien Grund und Ursache für das Entstehen und Gedeihen von möglicherweise mafiösen Strukturen, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. «Die aktuellen Razzien machen klar: Das Gesetz für Arbeitsschutz muss kommen, schnell und ohne Abstriche.»
In Niedersachsen durchsuchte die Bundespolizei acht Wohnungen und Firmen. Die Durchsuchungen sollten mindestens bis zum Mittag dauern, sagte eine Sprecherin der Bundespolizei in Garbsen bei Hannover. Neben Garbsen habe es Durchsuchungen in Papenburg, Twist und Bassum gegeben. Im Land waren knapp über 100 Beamte im Einsatz.
Nach gehäuften Corona-Infektionen in Fleischbetrieben waren die Arbeitsbedingungen in der Branche und die Unterbringung ausländischer Beschäftigter erneut in den Fokus gerückt. Das hat eine bundesweite Debatte über die Arbeitsbedingungen in der Branche ausgelöst.
Am 10. September hat der Bundestag das sogenannte Arbeitsschutzkontrollgesetz in erster Lesung behandelt. Es sieht vor, dass Kerntätigkeiten in der Fleischwirtschaft wie Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten künftig nicht mehr von betriebsfremden Beschäftigten ausgeführt werden dürfen. Werkverträge und Leiharbeit sollen in der Branche von 2021 an verboten sein.