Polizisten sagen zum Terror-Einsatz aus

Vater eines Opfers bricht in Tränen aus

Schon viele Zeugen haben im Terror-Prozess zum Anschlag in Halle berichtet, was sie erlebten und wie sie der Tag verändert hat. Jetzt kommen Polizisten zu Wort, die sich mit dem Attentäter einen Schusswechsel lieferten.

Ein verwackeltes Handy-Video zeigt einen uniformierten Mann mit Helm, der aus einem Gewehr auf ein Ziel außerhalb des Bildes feuert. Rauch steigt auf, der Schütze lädt nach, schließlich wechselt er zur Fahrerseite. Schüsse sind zu hören, er kippt um und liegt zwischen geöffneter Fahrertür und Auto.

Die Aufnahmen, die am Mittwoch im Prozess zum rechtsextremen Terroranschlag in Halle abgespielt werden, zeigen einen Teil des Schusswechsels, den sich der Attentäter beim rechtsextremen Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 mit der Polizei lieferte. Die Sequenz dauert nicht einmal eine Minute, die Konfrontation am Tattag nur wenig länger.

Die drei Polizisten, die am 9. Oktober 2019 das Feuer erwiderten und versuchten, den Attentäter zu stoppen, sagten am Mittwoch stundenlang als Zeugen vor dem Oberlandesgericht aus. Ob ihnen klar gewesen sei, dass es um Leben und Tod gehe, fragt ein Anwalt der Nebenklage die 33 Jahre alte Polizistin, die den Streifenwagen steuerte: «In dem Moment, in dem jemand mit einer Langwaffe auf Sie zielt, dann denken Sie auch, es ist gleich vorbei.»

Es sei aber hilfreich gewesen, dass sie und viele ihrer Kollegen eine besondere Ausbildung bekommen hätten, in der lebensbedrohliche Einsätze geübt würden, sagt die junge Frau auf Nachfrage. Zuvor hatte ihr gleichaltiger Kollege ausgesagt, der die einzige Maschinenpistole aus dem Funkwagen nahm, auf eine Distanz von etwa 50 Metern auf den Angeklagten schoss und ihn am Hals traf. Vorher habe er noch keinen Schusswechsel im Dienst mitgemacht.

Zu dem Zeitpunkt sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er getroffen habe, schildert der Polizist die damalige Lage. Er habe den Täter nach seinen ersten beiden Schüssen nicht mehr gesehen und vermutet, dass er sich hinter der Autotür in Deckung gebracht habe. Als dieser sich wenig später aufrappelt und mit dem Auto davonbraust, schießt der 33-Jährige noch einmal. «Ziel ist es, die Flucht zu verhindern, das ist mir nicht gelungen», fasst er am Mittwoch zusammen.

Obwohl die Funkstreife nach dem Schusswechsel die Verfolgung aufnahm, verlor sie den Schützen aus den Augen. Ein Transporter, der nicht als Polizeiauto zu erkennen war, folgte seinerzeit dem Täter länger, verlor ihn aber auch. Der Attentäter flüchtete schließlich in den Nachbarkreis und verletzte weitere Menschen, ehe er gefasst werden konnte.

Die Polizisten beantworten viele Detailfragen dazu, wie Funksprüche genau lauteten, wann sie was sahen, wie die Abstimmung untereinander und mit den anderen Kollegen war. Sie hatten vor Ort Passanten wahrgenommen, auch Autos fuhren durch die noch nicht abgesperrte Innenstadt. Trotzdem habe er auf das Auto des Täters geschossen, sagte der 33-Jährige. «Das hat mich schon Überwindung gekostet.»

Die beiden Polizisten waren nach dem Einsatz zunächst dienstunfähig, beiden wurde eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert. Relativ schnell waren sie allerdings wieder im Einsatz. Ihr 51 Jahre alter Kollege, der auch im beschossenen Streifenwagen saß, gab nach 25 Jahren den Job als Streifenpolizist auf und wechselte in den Innendienst. «Ich habe gemerkt, dass der Dienst nicht mehr so sein wird, wie er mal war», sagt der 51-Jährige. «Ich bin schon mit einem mulmigen Gefühl rausgefahren, manchmal auch mit Angst.»

Nach ihren Schilderungen reagieren die Polizisten auch auf die Kritik am Einsatz, vor allem daran, dass die Beamten nach den ersten Notrufen an der Synagoge zu spät am Tatort gewesen seien. «Kritik kann ich an diesem Polizeieinsatz nicht nachvollziehen», sagt der 33-Jährige, der auf den Attentäter schoss. Er habe seine Kollegin noch nie so schnell fahren sehen, wie an diesem Tag.

Zudem seien die Regeln beachtet worden, die für lebensbedrohliche Einsätze gelten würden, etwa das Sichern von Tatorten und das Anlegen besonderer Schutzkleidung. «Wir haben alle das Ziel, jeden Abend gesund nach Hause zu kommen, wie alle anderen.»

Aussage von Vater: erfuhr über Video vomTod desSohns

Er erinnere sich genau an das letzte Telefonat mit seinem Sohn, sagt der 44 Jahre alte Gerüstbauer am Dienstag als Zeuge im Prozess um den Terroranschlag von Halle. Der 20-Jährige habe ihn gefragt, ob er in der Mittagspause einen Döner essen dürfe, obwohl die Mutter es verboten habe. «Okay», habe er gesagt, «dann hol dir deinen Döner, aber das ist diese Woche der letzte.»

Der Sohn, der mit einer geistigen Behinderung auf die Welt kam und sich mit langen Praktika eine gerade erst begonnene Maler-Lehre erarbeitete, geht in den Kiez-Döner in Halle. Es ist der 9. Oktober 2019. Kurz nach dem Telefonat wird der Imbiss von einem schwer bewaffneten Angreifer attackiert und beschossen. Viele Menschen können fliehen, der 20-Jährige wird getötet. Seine Familie erfährt das erst nach Stunden des Suchens und der Ungewissheit und auf brutale Art und Weise: Ein Bekannter schickt ihr das Video, das der Attentäter von seiner Tat ins Netz gestellt hat und auf dem sie ihren Sohn erkennt.

Die Zeugenaussagen am zwölften Prozesstag zeigen einmal mehr, wie sehr sich das Leben unterschiedlichster Menschen durch den Tattag geändert hat. Da ist der 32 Jahre alte Mann, der bei der Attacke auf den Döner-Laden hinter der Theke stand. Er gehe bis heute eigentlich nur noch ungern in den Laden, wolle aber seinen Bruder unterstützen, der das Geschäft um jeden Preis halten wolle, erzählt er im Zeugenstand.

Sein Bruder sei nicht mehr derselbe, sagt der vier Jahre ältere Besitzer des Döner-Imbisses. In einem langen Teil seiner Aussage erinnert er an die beiden Todesopfer des Anschlags und hält ein Plädoyer, dass Staat und Gesellschaft gemeinsam gegen Fremdenhass arbeiten müssten, um weitere Taten zu verhindern.

Er habe kurz vor dem Attentat alles vorbereitet, um nach mehr als zehn Jahren in Deutschland die Staatsbürgerschaft zu beantragen, schildert der 36-Jährige. Nach dem Anschlag habe er darin keinen Sinn mehr gesehen. «Solange ich dunkle Haare habe und einen dunklen Teint macht es einfach keinen Unterschied, ob ich in meiner Tasche einen deutschen Pass habe oder nicht.» Trotzdem wolle er bleiben, den Laden offenlassen, auch weil er viele «wunderbare Menschen» getroffen habe.

Er habe sich einige Tage nach dem Anschlag unwohl gefühlt, weil er in der Synagoge und im Gebet so viel Stärke empfunden habe und gleichzeitig draußen Menschen ihr Leben verloren hätten, beschrieb ein 32 Jahre alter Jude seine Gefühle. Ihn selbst habe es gestärkt, dass sich die Gläubigen entschieden hätten, in der Synagoge die Gebete zu Jom Kippur fortzusetzen. «Das war in psychologischer Hinsicht eine sehr gesunde Reaktion.»

Eine 60 Jahre alte US-Amerikanerin, die ebenfalls in der Synagoge war, warnte vor der unterschätzten Gefahr von global vernetzten Rassisten. Der Attentäter sei nicht allein gewesen, sagt sie. «Er ist sehr wohl motiviert worden, ausgebildet, angefeuert und unterstützt worden.» Die Frau verweist auf die rassistische White-Supremacy-Bewegung (deutsch: weiße Vorherrschaft) aus den USA.

Sie wirft den Ermittlern vor, in Vorbereitung auf den Prozess nicht genügend über die Hintergründe und Netzwerke des Attentäters herausgefunden zu haben. Sie bewundere, was Europa nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft habe, sagt die frühere Radiojournalistin, die unter anderem aus Österreich berichtete. «Ich befürchte, dass es jetzt vermasselt wird, weil man diese Gefahr nicht ernst nimmt», bemerkt sie unter kurzem Applaus aus den Zuschauerreihen.

Bei der Aussage des Vaters, der bei dem Anschlag seinen Sohn verlor, klatscht niemand. Stattdessen halten sich selbst einige Anwälte der Nebenklage schockiert die Hände vor das Gesicht und schütteln ungläubig mit dem Kopf. Der 44-Jährige ist der erste Angehörige eines Todesopfers, der im Prozess aussagt. Seine Stimme versagt, er bricht in Tränen aus, erst bewegen sich nur seine Füße im schnellen, nervösen Takt, später zittert der Mann am ganzen Körper.

Knapp zwanzig Minuten erzählt er in kurzen Sätzen von seinem Sohn. Sehr oft fällt der Satz: «Er war megastolz». Stolz, dass er die Schule geschafft und sich eine Lehre zum Maler erkämpft habe. Und stolz, dass er zur Fangemeinde des Drittligisten Hallescher FC gehörte, regelmäßig zu Spielen gehen durfte und seine Fan-Freunde bei Auswärtsspielen auf ihn aufpassten.

Der Sohn wohnte zuletzt bei der Mutter, die Eltern hatten sich vor zehn Jahren getrennt. Er habe eigentlich jeden Tag mit seinem Sohn telefoniert, viele Ausflüge mit ihm gemacht, erzählt der Vater. Doch am 9. Oktober ging der 20-Jährige nicht mehr ans Telefon, stundenlang nicht. Das habe nicht zu ihm gepasst. Als der 44-Jährige berichtet, wie er das Video zugespielt bekommt, in dem die Taten des Angreifers zu sehen sind, bricht er in so heftiges Schluchzen aus, das die Verhandlung vorübergehend unterbrochen werden muss.

Der angeklagte Stephan Balliet wird zu Beginn des zwölften Prozesstages in den Saal des Landgerichts gebracht
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