Auch wenn Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Öl seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark zurückgefahren hat: Für den Osten gilt das nur bedingt. Die Raffinerie Mitteldeutschland in Leuna, die bisher über die Druschba-Pipeline versorgt wurde, schafft die Abkehr vom russischen Öl nur schrittweise. Und die PCK-Raffinerie Schwedt/Oder ist vorerst weiter komplett davon abhängig. Nun könnte in sechs Monaten ein EU-Importverbot für russisches Rohöl greifen. Geht Ostdeutschland der Sprit aus? Schießen die Preise durch die Decke? Fünf Punkte, die jetzt wichtig werden:
1. Ostdeutschland läuft mit Sprit aus Leuna und Schwedt
In Berlin und Brandenburg fahren nach Angaben von PCK neun von zehn Autos mit Kraftstoff aus der Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Auch der Flughafen BER bezieht von dort Kerosin.
Die Raffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt beliefert rund 1300 Tankstellen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Zudem sind die ostdeutschen Raffinerieprodukte Schmierstoff für die chemisch-pharmazeutische Industrie, die laut Branchenverband rund 54 500 Menschen in 160 Unternehmen beschäftigt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schreibt denn auch im jüngsten Fortschrittsbericht Energiesicherheit: "Insbesondere in Ostdeutschland ist dieser Prozess, gänzlich von russischem Öl unabhängig zu werden, anspruchsvoll."
2. Leuna sucht sich andere Quellen
Der Betreiber der Leuna-Raffinerie, der Konzern Totalenergies, hat bereits im März entschieden, bis zum Jahresende den Bezug von russischem Öl einzustellen. "Ende März ist ein Versorgungsvertrag mit russischem Rohöl zu Ende gegangen", teilte das Unternehmen mit. "Die ersten Cargos mit Alternativversorgung aus nicht-russischem Rohöl werden derzeit entladen."Man sei in der Umstellungsphase.
Der Mineralölverband Fuels und Energie bestätigt: «Für den Raffineriestandort Leuna zeichnet sich ein Weiterbetrieb über eine Pipeline vom Seehafen Danzig ab, allerdings nicht in bisherigem Umfang.» Das Rohöl kommt aus anderen Ländern per Tanker ins polnische Danzig und wird dort über die Plock-Pipeline nach Westen transportiert. Alternative Lieferländer sind zum Beispiel Großbritannien, Norwegen, Kasachstan, Libyen, Nigeria und die USA.
3. Schwedt ist ein Sonderfall - mit ungewissem Ausgang
Die PCK-Raffinerie Schwedt hat nach Habecks Darstellung wegen des russischen Mehrheitseigners Rosneft bislang kein Interesse an einer Abkehr von russischem Öl. Die Bundesregierung erwägt daher als letztes Mittel eine Enteignung. Die Belieferung von Schwedt wäre laut Fuels und Energie auch mit Tankeröl aus anderen Ländern über eine Pipeline vom Seehafen Rostock möglich - allerdings mangels Kapazität nur zum Teil. "Ob das für einen dauerhaften Betrieb ausreicht, wird derzeit geprüft", erklärt der Verband.
Nach einer Studie für Greenpeace könnte der Bezugsweg über Rostock 60 Prozent des Bedarfs in Schwedt decken, bei einer Erweiterung der Pipeline bis zu 90 Prozent. Auch für Schwedt könnten wohl Mengen über den Danziger Hafen dazukommen. Derzeit laufen Gespräche zwischen dem Bund, Brandenburg und Shell Deutschland, wie die Raffinerie am Netz bleiben kann auch ohne russisches Öl.
Sowohl für Schwedt als auch für Leuna gilt: Die Anlagen sind auf die bisher bezogene Sorte sibirischen Öls kalibriert. Sie müssten entweder neu eingestellt werden, was eine Produktionspause bedeuten würde. Oder man müsste aus neuen Bezugsquellen eine Mischung herstellen, die dem bisher bezogenen russischen Öl ähnelt, so erklärt es der Branchenverband.
4. Der Westen wird den Osten (zum Teil) mitversorgen müssen
Fuels und Energie geht davon aus, dass beide ostdeutschen Raffinerien auch ohne russisches Öl zumindest in Teillast weiter betrieben werden können. In dem Fall könne "die Tankstellenversorgung bundesweit inklusive Ostdeutschland aufrechterhalten werden".
Von westdeutschen Raffinerien könnten Fertigprodukte wie Benzin und Heizöl über Kesselwagen, Lastwagen oder Schiffe nach Osten gebracht werden. Überbrückungshilfen aus der Rohölreserve in Niedersachsen könnten über Wilhelmshaven per Tanker nach Rostock und Danzig gehen. Die Greenpeace-Studie des Energiefachmanns Steffen Bukold beschreibt ein ähnliches Szenario.
5. Es wird teuer
Von einem Öl-Embargo könnte insgesamt auf dem Weltmarkt das Signal ausgehen: Achtung, knappes Gut, Preise hoch!
Ob und inwieweit das passiert, wagen aber auch Experten nicht vorherzusagen, weil immer auch Faktoren wie zum Beispiel der Dollarkurs im Spiel sind. Speziell in Ostdeutschland könnten Kostenfaktoren dazu kommen. Der Ökonom Jens Südekum erläuterte es zuletzt so: Russisches Rohöl ist mangels Nachfrage seit Kriegsbeginn deutlich billiger als Öl aus anderen Quellen, das nun viele haben wollen.
Nun müssen vor allem in Ostdeutschland große Mengen zu höheren Preisen ersetzt werden. Zudem würden Transporte von Rohöl und Ölprodukten von West nach Ost zusätzliches Geld kosten, ebenso die Umstellung der ostdeutschen Raffinerien.
All das könnte nach Einschätzung von Experten dazu führen, dass die Preise an der Zapfsäule im Osten noch einige Cent höher ausfallen als im Westen. Andererseits: Schwankungen um einige Cent hin und her sind für Tankstellenkunden ja ohnehin Tagesgeschäft.