Zum Image der US-Musikerin Miley Cyrus gehört der permanente Wandel.
Kaum ein Popstar der jüngeren Generation wechselt so radikal die Rollen wie die 28-Jährige. Angefangen hatte sie als braver Disney-Star Hannah Montana, einige Jahre später ritt sie nackt auf einer Abrissbirne, war skandalöse Pop-, dann Country-Musikerin. Jetzt also: Rock im Stil der 80er Jahre, mit dem neuen Album "Plastic Hearts".
Es ist eine Platte voller glatt produzierter, rockig angehauchter Popsongs geworden. Man stellt sich vor, wie sie damit vor 35 Jahren Stadien hätte füllen können. Das passende Outfit hätte sie auch, etwa jüngst in einem Interview mit dem Apple-Music-DJ Zane Lowe: Cowboy-Boots, Schlaghose, Blondie-Shirt, lange schwarze Nägel, Vokuhila-Frisur und ein großer, pelziger Cowboyhut. Cyrus spielt mit musikalischen und modischen Referenzen aus einem halben Jahrhundert Popmusik.
Sie wird nicht müde, den Einfluss ihrer Vorbilder zu zitieren. Auf "Plastic Hearts" gibt es Zusammenarbeiten mit den Rock-Koryphäen Joan Jett und Billy Idol. Zugleich zeigte die US-Sängerin in der Vergangenheit, dass sie selbst großes musikalisches Verständnis hat.
Und sie hat Sinn für eingängige, frische Melodien, war beteiligt an vielen Hits, die Millionen Fans nicht mehr aus dem Kopf gehen. Dazu gehören eigene Lieder wie "Wrecking Ball", "We Can’t Stop" oder "Malibu". Ihr Talent zeigt sich aber auch in Coverversionen, etwa «Jolene» - eines der größten Lieder ihrer Taufpatin Dolly Parton. Oder jüngst beimDisco-Rock-Klassiker "Heart Of Glass" von Blondie.
Miley Cyrus kann selbst Hits schreiben, sie spürt aber auch Hits ihrer Vorgängerinnen auf und macht sie einem jungen Publikum zugänglich. Haucht ihnen mit ihrer weit umspannenden Stimme neues Leben ein.
Zu ihren Stärken – und manchmal auch Schwächen – gehört, dass sie sehr sendungsbewusst ist. Es ist interessant zu beobachten, wie sie sich für ihr jüngstes Werk wieder neu erfunden hat. Videos davon verbreitet sie zum Beispiel auf ihrem Instagram-Account.
Was das rein Musikalische betrifft, muss man aber leider sagen, dass "Plastic Hearts" wenig Erfreuliches bietet. Die meisten Lieder sind zu glatt, zu beliebig - kein Hit strahlt heraus. Die Songs klingen altbacken. Im Hintergrund der Uptempo-Nummern knattert stets ein mechanisch-poppiges Schlagzeug. Die Balladen schrammen nicht immer am Kitsch vorbei, bergen aber immerhin ein paar schöne Melodien. Außerdem kann man sagen, dass Cyrus' markante Stimme – tief, kräftig, manchmal krächzend – gut dazu passt, eine "Rockröhre" zu sein.
Interessanter als die Musik sind auf "Plastic Hearts" neben der ganzen Inszenierung die Songtexte, die von Selbstbestimmung handeln. Die Lieder erzählen von einer Frau, die es lernt, sich selbst zu behaupten. "So gimme what I want or I'll give it to myself" (Also gib mir, was ich will, oder ich geb's mir selbst), heißt es etwa in "Gimme What I Want", einem der schöneren Lieder, das etwas an den Industrial-Rock der 90er Jahre erinnert.
Ihre Fans kennen Cyrus' persönliche Geschichte - oder zumindest den Teil davon, den sie bereitwillig mit ihrem Publikum teilt. 2019 wurde die Scheidung von ihrer Jugendliebe, dem Schauspieler Liam Hemsworth, bekannt. Sie habe sich bewusst mit Einsamkeit und negativen Gefühlen konfrontiert, sagte Cyrus im Interview von Zane Lowe. "Unser Verstand und unsere Leben kreisen um die Liebe, es ist alles, was wir wollen." Es sei eine "Ehre", wenn man die Liebe finde, doch erzwingen könne man sie nicht. Was es wirklich brauche, sei Akzeptanz und Selbstbewusstsein.
"Vermutlich jede Frau in meiner Familie vor mir hatte jemanden, hatte Kinder... Deswegen ist das mir eingefleischt, aber ich habe diese Vorstellung tatsächlich nicht", sagte Miley Cyrus. Sich freimachen von Erwartungen und Rollen, die die Gesellschaft noch immer einer jungen Frau zuschreibt - das ist ihre Botschaft, die es wert ist, gehört zu werden.