Neue Eskalation im Russland-Ukraine-Konflikt

Putin befiehlt Entsendung von Truppen in die Ostukraine

Allen Warnungen des Westens zum Trotz hat der russische Präsident Wladimir Putin die Entsendung von Truppen in den umkämpften Osten der Ukraine befohlen. Die Einheiten sollen in den selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk für «Frieden» sorgen, wie es in einem Dekret heißt, das der Kremlchef am Montagabend in Moskau unterzeichnete. Zugleich erkannte Putin die beiden von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete, die völkerrechtlich zur Ukraine gehören, als unabhängige Staaten an. Wann die russischen Soldaten dort einrücken, blieb zunächst unklar. Die USA und die EU protestierten und kündigten Strafmaßnahmen an.

150.000 russische Soldaten an der Grenze

Der vor Jahren vereinbarte Waffenstillstand in Donezk und Luhansk hält angesichts Hunderter Verstöße nicht mehr, es bekämpfen sich dort ukrainische Regierungstruppen und Aufständische.Russlandhat nach westlichen Angaben etwa 150 000 Soldaten an den Grenzen zum Nachbarland zusammengezogen. Ein baldiges Vorrücken in die Ostukraine wäre daher leicht möglich. Moskau hatte seit Wochen Befürchtungen des Westens widersprochen, dass ein Einmarsch bevorstehen könnte.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte auf die russische Anerkennung der «Volksrepubliken» zurückhaltend. «Wir sind dem friedlichen und diplomatischen Weg treu und werden nur auf diesem gehen», sagte er. Auf Provokationen werde Kiew nicht reagieren - aber auch kein Territorium aufgeben. «Wir erwarten von unseren Partnern klare und wirkungsvolle Schritte der Unterstützung.»

Russische Truppen könnten in den nächsten Tagen vorrücken

Die US-Regierung geht davon aus, dassRusslandseine Ankündigung, Truppen in den umkämpften Osten der Ukraine zu schicken, schon bald umsetzen wird.Russlandkönnte «heute Nacht oder morgen oder in den kommenden Tagen» handeln, sagte der stellvertretende nationale Sicherheitsberater Jon Finer dem Sender CNN. Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield sagte bei einer kurzfristig anberaumten Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates in New York am Montagabend (Ortszeit), der Entsendungsbefehl russischer Truppen sei der erste Schritt zum vollständigen Einmarsch. «Darüber hinaus ist dieser Schritt von Präsident Putin eindeutig die Grundlage für den Versuch Russlands, einen Vorwand für eine weitere Invasion der Ukraine zu schaffen.»

Vereinten Nationen verurteilen den Entsendungsbefehl

Die Vereinten Nationen kritisierten, der russische Entsendungsbefehl sei ein Verstoß gegen die UN-Charta. «Wir bedauern auch den Befehl, russische Truppen in der Ostukraine zu stationieren, Berichten zufolge im Rahmen einer Friedensmission», sagte die UN-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo, bei der Dringlichkeitssitzung. «Die nächsten Stunden und Tage werden entscheidend sein. Das Risiko eines größeren Konflikts ist real und muss um jeden Preis verhindert werden.»

Russland schließt «Freundschaftsverträge» mit den selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk

Russlandschloss «Freundschaftsverträge» mit den selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, die in der Nacht zum Dienstag auf der Internetseite der Staatsduma veröffentlicht wurden. Danach darfRusslandeigene Militärstützpunkte in der Ostukraine errichten und betreiben. Darin ist zudem die Rede von einem gemeinsamen Grenzschutz. Die Vereinbarung solle zunächst über zehn Jahre Bestand haben, mit der Möglichkeit einer automatischen Verlängerung.

EU und USA verhängen erste Sanktionen

Die EU reagiert mit Sanktionen auf die Entscheidungen Russlands, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel erklärten. Die Strafmaßnahmen sollen diejenigen treffen, die daran beteiligt sind. Der offizielle Beschluss über die Sanktionen soll bereits an diesem Dienstag auf den Weg gebracht werden. Wie die derzeitige französische EU-Ratspräsidentschaft ankündigte, wird es dazu am Vormittag um 9.30 Uhr ein Treffen der ständigen Vertreter der EU-Staaten in Brüssel geben.

Auch die US-Regierung will an diesem Dienstag neue Maßnahmen gegenRusslandankündigen. US-Präsident Joe Biden unterzeichnete eine Exekutivanordnung mit Sanktionen. Diese sollen neue Investitionen, Handel und Finanzierung durch US-Personen in Donezk und Luhansk verbieten. Biden bekräftigte, dass die USA im Gleichschritt mit ihren Verbündeten und Partnern «rasch und entschlossen» auf eine weitere russische Aggression reagieren würden. Der britische Premierminister Boris Johnson prangerte den Schritt Putins ebenfalls als «offenen Bruch internationalen Rechts» an und sprach von einer «schamlosen Verletzung der Souveränität und Integrität der Ukraine».

Putin spricht von jahrelanger Täuschung durch die Nato

Putin forderte mit Blick auf die verschärften Kämpfe im Donbass die ukrainische Führung auf, sofort das Feuer einzustellen. Andernfalls werde Kiew die volle Verantwortung dafür tragen, sagte er. Der Kremlchef warf zudem der Nato vor, mit einer «unverschämten Aneignung» der Ukraine begonnen zu haben. Der Westen wolle die Ukraine als «Theater möglicher Kampfhandlungen» erschließen.

Die prorussischen Separatistenführer in den beiden Regionen hatten Putin zuvor um Beistand im Kampf gegen die ukrainischen Regierungstruppen gebeten. Nach UN-Schätzungen gibt es in dem seit acht Jahren währenden Konflikt bisher mehr als 14 000 Tote.

Putin sprach in der Fernsehansprache trotz fehlender Beweise von einem Massenverbrechen am russischstämmigen Volk in der Ostukraine. «Die sogenannte zivilisierte Welt zieht es vor, den von Kiew begangenen Genozid im Donbass zu ignorieren», sagte Putin. Vier Millionen Menschen seien betroffen. Die USA hattenRusslandzuletzt beschuldigt, möglicherweise den Vorwurf des Völkermordes als Vorwand für eine Invasion nutzen zu wollen.

Putin warf der Nato überdies eine jahrelange Täuschung vor.Russlandsei zu Sowjetzeiten bei der Wiedervereinigung Deutschlands versprochen worden, dass die Nato sich kein bisschen nach Osten ausdehne. «Sie haben uns betrogen», sagte Putin und warf dem westlichen Bündnis vor, bereits fünf Wellen der Ausdehnung nach Osten durchgezogen zu haben - undRusslandwie einen Feind zu behandeln. «Warum das alles? Wozu?», fragte Putin. Er hatte zuletzt mehrfach vor einer Aufnahme der Ukraine in die Nato gewarnt.

Scholz und Macron telefonierten am Abend miteinander

Bundeskanzler Olaf Scholz, Biden und der französische Präsident Emmanuel Macron telefonierten am Abend und waren sich einig, dass dieser Schritt Russlands nicht unbeantwortet bleiben werde. «Die Partner waren sich einig, nicht nachzulassen in ihrem Einsatz für die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine.» Kanadas Regierungschef Justin Trudeau twitterte: «Kanada steht fest an der Seite der Ukraine – und wir werden Wirtschaftssanktionen für diese Handlungen verhängen.» Außenministerin Annalena Baerbock verurteilte die Anerkennung der Separatisten-Regionen durchRusslandals «eklatanten Bruch des Völkerrechts».

Der Separatistenführer in Donezk, Denis Puschilin, nannte die Anerkennung durchRusslandeinen «historischen Moment». Sie wurde in der Stadt mit einem angeblich spontanen Feuerwerk gefeiert.

Ukraine, Donezk: Menschen schwenken russische Nationalflaggen und feiern die Anerkennung der Separatistengebiete in der Ostukraine durch Russland.
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