Wer besaß eigentlich die Himmelsscheibe von Nebra? Archäologen vermuten, dass die Besitzer der Himmelsscheibe vor über 3.600 Jahren in der Nähe des Ringheiligtums bei Pömmelte (Salzlandkreis) lebten. Diese Anlage ähnelt sehrder berühmte südenglischen Anlage Stonehenge, ist aber aus Holz anstatt aus Stein.Licht in diese Frage soll im kommenden Jahr eine internationale Forschungsgrabung bringen.
«Die Siedlung neben der Kreisgrabenanlage Pömmelte ist die größte Mitteleuropas aus dieser Zeit», sagte Franziska Knoll, Archäologin beim Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas der Universität Halle.«Religion und Glauben dieser Leuten kennen wir nicht, aber die Fürsten und ihre Untertanen lebten wahrscheinlich in der Nähe desheutigen Ortes Pömmelte und kamen zu gewissen Anlässen, wie Himmelsbeobachtungen,bei Nebra zusammen.»Der Mittelberg in Nebra, an dem die Himmelsscheibe am Ende dieser Epoche niedergelegt wurde, liegt 80 Kilometer Luftlinie weiter südlich und damit fast im Zentrum des Kulturgebietes. Pömmeltemarkiert den nördlichen Rand der mitteldeutschen Aunjetitzer Kultur. Während der frühen Bronzezeit, vor 4.150 bis 3.600 Jahren, besiedelte siedie fruchtbarsten Böden im Windschatten des Harzes.
An den Grabungen arbeiten von April bis September2020 erneut Studenten der Universität Southampton (England) sowie aus Deutschland. Auch die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und das archäologische Landesamt vonSachsen-Anhalt sind beteiligt.
Seit 2018 konnten Ausgräber bereits die Grundrisse von über 30 Langhäusern und zahlreiche Bestattungen freilegen. «Religion und Glauben dieser Leute kennen wir aufgrund der fehlenden Schriftquellen nicht. Wir wissen aber, dass astronomische Bezüge sowohl auf der Himmelsscheibe als auch am Ringheiligtum von Pömmelte eine wichtige Rolle spielen. An den Horizontbögen auf der Scheibe lassen sich Sonnenauf- und Untergang zur Winter- und Sommersonnwende auf dem Mittelberg ablesen», erklärte Knoll. «Die Eingänge des Rondells in Pömmelte sind auf die so genannten Vierteljahresfeste, wie beispielsweise Mariä Lichtmess, orientiert. Die Menschen der Frühbronzezeit kamen sicher zu diesen wichtigen Daten im Jahreslauf am jeweiligen Ort zusammen. Daher wäre es durchaus denkbar, dass in Pömmelte auch der Besitzer der Himmelsscheibe zugegen war.»
Was die Archäologen verwundert, ist, dass in Sichtweite, knapp einenKilometerneben dem Ringheiligtum in Richtung Schönebeck (Salzlandkreis)eine weitere frühbronzezeitliche Kreisgrabenanlage stand. «Warum brauchten diese Leute zwei fast baugleiche Anlagen?», fragte sich Knoll. Waren sie gleichzeitig in Nutzung? Boten sie Raum für klar getrennte Handlungen? Pendelten die Leute zwischen den Orten? Dann muss es Wege gegeben haben, die bislang noch nicht entdeckt wurden.
«Die Schönebecker Anlage wurde bislang zu drei Viertel ergraben», sagte Knoll. «Die Radiokarbon-Datierungen an organischen Resten ergaben, dass Pömmelte vor etwa 4350 Jahren und Schönebeck knapp 200 Jahre später erbaut wurde.» Das jüngere Rondell ist etwas kleiner. Der Außendurchmesser der Anlage von Pömmelte beträgt etwa 115 Meter, der maximale Durchmesser in Schönebeck misst etwa 90 Meter.
«Augenfällig ist, dass in der jüngeren Schönebecker Anlage Opferschächte, wie sie in Pömmelte vorhanden sind, fehlen. Deponiert wurden hier als eine Art Opfer auch die Überreste von Frauen und Kindern. Möglicherweise hatte sich die religiöse Vorstellung über die Jahrhunderte gewandelt und demonstrierte weniger Gewalt, verlangte also nicht mehr nach derartigen Opfern.»
Die Anlage in Pömmelte wurde 2016 für den Tourismus als Ringheiligtum am Originalplatz rekonstruiert und von einem Palisadenzaun aus 1800 Robinienstämmen umgeben. Auch die Kreisgrabenanlage in Schönebeck soll nach Abschluss der archäologischen Arbeiten für die Öffentlichkeit sichtbar bleiben. «Die Art und Weise der Rekonstruktion wird sich aber von Pömmelte unterscheiden», sagte Knoll.