Nach deutlichen Einbußen der Ampel-Parteien bei den Wahlen in Hessen und Bayern mahnen Politiker von SPDund Grünen, öffentlich ausgetragene Streitigkeiten in der Regierungsarbeit im Bund zu beenden. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte am Montag im ARD-«Morgenmagazin», es gelte jetzt, wieder mehr Vertrauen zu gewinnen. Dabei gehe es nicht um eine Sichtweise, wer in der Koalition gewinne oder verliere. «Das schaffen wir nicht gegeneinander, das schaffen wir nur zusammen.» Der SPD-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, Achim Post, sagte der «Rheinischen Post»: «Die Ampel muss sich zusammenreißen.» Inhaltlich rückt eine stärkere Begrenzung der Migration weiter in den Fokus.
Nach denLandtagswahlenkönnen die Unions-Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU)in Bayern und Boris Rhein (CDU)in Hessen weiterregieren und bereiten sich auf Koalitionssondierungen vor. In Hessen wurde die CDUklar stärkste Kraft. Sie legte laut vorläufigem Ergebnis auf 34,6 Prozent zu (Wahl 2018: 27,0). Die AfD verbesserte sich auf 18,4 Prozent (13,1). Die SPD mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Spitzenkandidatin fiel auf 15,1 Prozent (19,8). Die mitregierenden Grünen sackten auf 14,8 Prozent (19,8). Die FDP schaffte den Verbleib im Landtag mit 5,0 Prozent, die Linke verfehlte den Wiedereinzug.
In Bayern blieb die CSU mit 37,0 Prozent deutlich stärkste Kraft, rutschte aber noch unter ihr desaströses Ergebnis von 2018 (37,2). Die Freien Wähler verbesserten sich auf 15,8 Prozent (11,6). Die Grünen verloren auf 14,4 Prozent (17,6). Die AfD legte auf 14,6 Prozent zu (10,2), die SPD nur noch auf 8,4 Prozent (9,7). Die FDP verpasste mit 3,0 Prozent den Wiedereinzug ins Parlament (5,1).
SPD-Chefin Saskia Esken äußerte sich in der ARD beunruhigt über die Zugewinne der AfD und warnte vor trügerischen Erwartungen. «Die AfD wird tatsächlich auch von Menschen gewählt, die sich soziale Gerechtigkeit wünschen, von der AfD aber niemals bekommen würden.» Die Bilanz der Ampel-Koalition und auch deren sozialdemokratische Handschrift könnten sich sehen lassen. Man habe aber nicht geschafft, dies bei den Wahlen in den Mittelpunkt zu stellen. Alle Welt rede über die Inflation, aber nur wenige redeten über die Erhöhung des Mindestlohns und weitere Entlastungen, machte Esken deutlich.
FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki forderte nach den Wahlen eine Kurskorrektur der Koalition im Bund. «So kann es nicht weitergehen», sagte er der «Bild» (Montag). Alle Ampel-Parteien hätten verloren. «Das ist das klare Signal, dass wir in Berlin endlich aufnehmen müssen, was die Menschen bewegt.» In der Frage der Atomkraft, beim Heizungsgesetz oder in der Migrationspolitik liege man konsequent im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung. «Wenn wir keine Lösungen präsentieren, werden sich am Ende die Themen die Koalitionen suchen.»
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU)sagte vor Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin, es gebe «auch eine gute Botschaft, denn der Frust auf die Ampel entlädt sich eben nicht ausschließlich bei der AfD». Vielmehr führe Unzufriedenheit mit der Bundesregierung auch zu einem Zuwachs insbesondere bei der CDU in Hessen. «Das ist eine gute Botschaft für die Demokratie, für unser Land und auch für die CDU.» CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wies nach dem Erfolg der mit den Grünen regierenden Hessen-CDUauf weiter bestehende Differenzen im Bund hin. Auf Landesebene habe man natürlich andere Themen, sagte er in der ARD. Im Bund sehe man beim großen Thema der Eindämmung der Migration ganz andere Vorstellungen.
SPD-Chefin Esken sagte, es gelte bei den Themen, die das Leben der Menschen beschwerten, schnell Lösungen zu finden. Diese müssten dann aber auch in Ländern und Kommunen umgesetzt werden. Sie nannte in der ARDunter anderem eine ständige Erreichbarkeit und Digitalisierung der Ausländerbehörden, um bei Abschiebungen und Entscheidungen über einen Aufenthaltsstatus schneller zu werden. Grünen-Chefin Lang machte sich für rasche Arbeitsmöglichkeiten stark. «Wer hier ankommt, soll ab dem ersten Tag arbeiten können.» Nötig sei, bei der Verteilung von Migranten in Europa voranzukommen. Zudem bräuchten die Kommunen mehr finanzielle Unterstützung. Die vom Bund vorerst zugesagte eine Milliarde Euro zusätzlich reiche nicht aus.