Kohleausstieg bis 2038 beschlossen

Der deutsche Kohle-Ausstieg ist besiegelt. Am Freitag stimmten Bundestag und Bundesrat einem Paket an Gesetzen zu, das den Fahrplan für die schrittweise Stilllegung von Kohlekraftwerken bis spätestens 2038 vorsieht und den betroffenen Regionen im Gegenzug Milliardenhilfen sichert. Die Ministerpräsidenten der Kohle-Länder Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zeigten sich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz zufrieden und verteidigten das Ausstiegsdatum, das gerade Umweltschützern zu spät ist.

Es gehe darum, eine Volkswirtschaft am Leben zu halten «und sich nicht einen eigenen K.-o.-Schlag zu liefern», sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) mit Blick darauf, dass die Energieversorgung gesichert werden muss. Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) betonte, die Kohleregionen hätten nun die Chance, neue Strukturen aufzubauen. Doch was passiert jetzt - und wie wird das Kohle-Paket in den ostdeutschen Revierregionen gesehen?

DASPAKET: Beim Verbrennen von Kohle zur Stromgewinnung entsteht vergleichsweise viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2). Deswegen soll der Anteil des Kohlestroms zugunsten von Erneuerbaren Energien in Deutschland schrittweise gesenkt und die Kohlekraftwerke bis 2038 nach und nach abgeschaltet werden. Das soll ein Baustein sein, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen könnte. Noch in diesem Jahr geht die erste Anlage in Nordrhein-Westfalen vom Netz, die acht dreckigsten Kraftwerke in den nächsten zwei Jahren. Die neueren Kraftwerke im Osten gehören zu den letzten, die abgeschaltet werden.

DIEREVIERHILFEN: Gerade in den strukturschwächeren Regionen im Lausitzer Revier in Sachsen und Brandenburg sowie im Mitteldeutschen Revier im Süden Sachsen-Anhalts ist das Abbaggern und Verwerten von Kohle ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sachsen-Anhalts Regierungschef Haseloff verwies am Freitag erneut darauf, dass der Energieträger Kohle von Strom über Prozessgas bis hin zur Wärme auch eine wichtige Grundlage für die wichtigen Chemieparks in der Region sei.

Um den Wegfall der Kohleförderung vor Ort zu kompensieren, sollen die betroffenen Länder vom Bund in den nächsten Jahrzehnten bis zu 40 Milliarden Euro Strukturhilfen bekommen. 26 Milliarden Euro will der Bund über eigene Projekte in der Region ausgeben. 14 Milliarden Euro bekommen die Länder, um in Eigenregie Konzepte umzusetzen. Dabei geht es sowohl um eine bessere Infrastruktur, um die Regionen für Wirtschaftsansiedlungen attraktiver zu machen, als auch um die Ansiedlung von Forschungszentren und Behörden, um neue Jobs zu schaffen.

DIEPROJEKTE:Die Ost-Bundesländer haben jeweils eigene Schwerpunkte, wie der Strukturwandel gestaltet werden soll. Sachsens Regierungschef Kretschmer setzt unter anderem große Hoffnungen in neue Forschungseinrichtungen, wie die beiden geplanten Helmholtz-Zentren im Mitteldeutschen sowie im Lausitzer Revier. Wissenschaftler sollten mit den neuesten Themen kommen, die sich dort umsetzen ließen, sagte er am Freitag. Es sei bekannt, dass sich nach fünf bis zehn Jahren Effekte zeigten, etwa weil es Ausgründungen gebe oder sich im Umfeld Start-ups ansiedelten. Zudem setze er für die Lausitz auf die geplante bessere und engere Bahnanbindung an die «Bundeshauptstadt mit ihrem unglaublichen Wachstum».

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) verwies unter anderem auf den anvisierten Ausbau des Bahn-Instandsetzungswerk in Cottbus, in dem 1200 weitere Industriearbeitsplätze entstehen sollen. Davon könnten auch die Kohle-Beschäftigten im nahen Tagebau Jänschwalde profitieren. Auch Cottbus soll zudem besser an Berlin angeschlossen werden. Sachsen-Anhalt will unter anderem ein neues Bio-Ökonomiezentrum für nachhaltige Chemie aufbauen sowie die Internetanbindung seiner Kohle-Region verbessern. Dabei setzt es auch auf den für die Industrie besonders interessanten und reaktionsschnellen neuen Mobilfunkstandard 5G.

DIEWIRTSCHAFT: Das Echo aus der Wirtschaft in den betroffenen Revierregionen ist unterschiedlich. Die Wirtschaft in der Lausitz forderte eine schnelle Umsetzung. Der Geschäftsführer der Wirtschaftsinitiative Lausitz, Klaus Aha, nannte die Verabschiedung überfällig. Der Deutsche Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg betonte, Betriebe und Bürger hätten jetzt Sicherheit.

Aus Sicht der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau sind die geplanten Strukturhilfen hingegen unzureichend. Zwar werde die Infrastruktur bei Verkehr, Forschung und Digitalisierung verbessert, kommentierte IHK-Präsident Steffen Keitel. Allerdings fehle es völlig an Anreizen für Unternehmen, vorrangig in den Revierregionen zu investieren und innovativ zu sein.

Auch Wirtschaftswissenschaftler stießen in diese Kerbe. Aus Sicht des Vize-Chefs des Dresdner Ifo-Instituts, Joachim Ragnitz, kommen Unternehmensbeihilfen zu kurz, die durch attraktive Bedingungen Ansiedlungen und Unternehmensinvestitionen fördern könnten. «Es ist wahrscheinlich, dass die vorgesehenen Strukturhilfen die Wachstumsperspektiven insbesondere der ostdeutschen Reviere insgesamt nicht nachhaltig stärken», sagte der Vize-Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), Oliver Holtemöller.

DIEREGIONEN: Sachsens Minister für Regionalentwicklung, Thomas Schmidt (CDU), kündigte an, bei der Auswahl künftiger Projekte eng mit den betroffenen Regionen zusammenarbeiten zu wollen. Jährlich stünden im Freistaat 176 Millionen Euro zur Verfügung. Auf sachsen-anhaltischer Seite kritisierte der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), hingegen, dass die Kommunen im Revier bisher kein Mitspracherecht hatten. Er bedauerte zudem, dass es vor allem der Lausitz gelungen sei, Leuchtturmprojekte wie große Forschungseinrichtungen für sich zu gewinnen. Positiv sei dagegen die geplante deutlich bessere Bahnanbindung.

DIEBETREIBER:Die Betreiber müssen nach den Beschlüssen jetzt nach und nach ihre Kraftwerke vom Netz nehmen, werden im Gegenzug aber mit mehr als vier Milliarden Euro vom Staat entschädigt. Das LausitzerEnergieunternehmen Leag stellt sich derzeit auf die Umsetzung des Kohle-Ausstiegs ein. Voraussichtlich im September solle ein Konzept vorliegen, sagte Leag-Sprecher Thoralf Schirmer. Für die nächsten Jahre wolle man sich breiter aufstellen. Als Beispiel nannte er Projekte für Batteriespeicher und Wasserstoff-Kraftwerke.

Der Kohleförderer Mibrag mit Sitz in Zeitz im Süden Sachsen-Anhalts beklagt hingegen, dass für ihn anders als für die Leag oder den Energieriesen RWE bisher keine Entschädigung für die Verkürzung der Laufzeit vorgesehen ist. Hintergrund ist, dass das Unternehmen als reines Bergbauunternehmen keine Großkraftwerke hat. «Werden die Laufzeiten wie im Gesetz vorgesehen verkürzt, führt das bei Mibrag unmittelbar zu Umsatzverlusten bei gleichzeitig höheren und früher anfallenden Kosten für die Rekultivierung», sagte der Vorsitzende der Mibrag-Geschäftsführung, Armin Eichholz, laut Mitteilung.

DERFAHRPLAN:Die Grünen in den Landtagen sowie im Bundestag kritisieren den geplanten Kohle-Ausstieg bis 2038 als zu spät. Umweltverbände sehen das ähnlich. «Greenpeace wird weiter gemeinsam mit der gesamten Klimabewegung bei dieser und der nächsten Regierung für das Ende der Kohleverbrennung bis spätestens 2030 kämpfen», versprach Geschäftsführer Martin Kaiser.

Ein früherer Ausstieg aus der Kohleverstromung im Jahr 2030, 2032 oder 2034 sei immer noch denkbar, wenn die Versorgungssicherheit garantiert sei, ergänzte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Das komme vor allem dann in Betracht, wenn der Bau neuer Stromtrassen schneller vorangehe oder Speichermöglichkeiten Strom aus erneuerbaren Energien wettbewerbsfähiger machen.

Aus Sicht anderer Kritiker, etwa Sachsen-Anhalts FDP-Chef Frank Sitta, hat die Bundesregierung mit dem politisch verordneten Kohle-Ausstieg den falschen Weg gewählt. Aus seiner Sicht wäre es klüger gewesen, auf steigende Preise für CO2-Zertifikate beim Emissionshandel zu vertrauen, der Kohlestrom mit der Zeit unattraktiver gemacht hätte. «Die Marktmechanismen sind wie sie sind», kommentierte Sachsens Regierungschef Kretschmer die Frage danach, ob genau diese steigenden CO2-Preise einen Kohle-Ausstieg vor 2038 wahrscheinlich machen. Laschet sprach von einer spekulativen Annahme. Es sei darum gegangen, für den Kohle-Ausstieg einen Prozess zu haben, der sich lenken und steuern lasse.

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