Dirigentin Anna Skryleva

Multikultureller Dialog trotz Ukraine-Krieg

Interview mit Anna Skryleva, Generalmusikdirektorin am Theater Magdeburg

In der Ukraine tobt der Angriffskrieg Russlands. Dabei sind viele Russen gegen einen Krieg mit der Ukraine, haben Familie dort und engagieren sich sogar für einen Dialog zwischen den Menschen.

Eine davon ist die russisch-stämmige Dirigentin Anna Skryleva. Sie ist in Moskau geboren und aufgewachsen. Seit 1999 lebt und arbeitet sie in Deutschland und ist seit fast drei Jahren Dirigentin am Theater Magdeburg.

Schon 2014 hat Anna Skryleva das Projekt "Classic for peace" ins Leben gerufen und russische und ukrainische Musiker zusammengebracht. Wir haben mit ihr über die aktuelle Situation gesprochen.

Dirigentin Anna Skryleva
Anna Skryleva, Dirigentin und Generalmusikdirektorin am Theater Magdeburg
Sie haben bereits 2014 Musiker aus Russland und der Ukraine zu einem multikulturellen Dialog zusammengebracht. Wie kam es dazu?
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  • Sie haben bereits 2014 Musiker aus Russland und der Ukraine zu einem multikulturellen Dialog zusammengebracht. Wie kam es dazu?
  • Planen sie momentan ein ähnliches Projekt?
  • Wie versuchen sie persönlich zu helfen?
  • Das ist bestimmt auch eine sehr emotionale Situation für sie?
  • Waren sie selbst schon mal in der Ukraine?
  • Bekommen die Menschen in Russland gerade alle Informationen?
  • Kommt es für Sie in Frage nochmal nach russland zu reisen in nächster Zeit?
  • Russischsprachige Menschen werden momentan weltweit angefeindet – was halten sie davon?
  • Was macht Sie an der Situation am traurigsten?
  • Die Sanktionen gegen Russland treffen nun gerade auch junge Leute – ob der Ausschluss aus dem internationalen Sport oder die Aussetzung von Stipendien. Was halten sie davon?
  • Kommt die Einstellung aus ihrer Kindheit?
  • Wie stehen sie zu der Entlassung von dem russischen Dirigenent Gergiew, weil er sich nicht deutlich von Putin distanzieren wollte?

Sie haben bereits 2014 Musiker aus Russland und der Ukraine zu einem multikulturellen Dialog zusammengebracht. Wie kam es dazu?

Anna Skryleva: Nach diesem Konfliktausbruch und der Krim-Annektierung habe ich mich engagiert, dass junge russische und ukrainische Musiker hier in Deutschland in den Dialog kommen. Wir haben 2015 und 2016 zwei wunderbare Projekte gemacht. Wir hatten im Alter zwischen 15 und 18 junge Musiker hiergehabt. Das war sehr emotional und sehr positiv.

Planen sie momentan ein ähnliches Projekt?

Anna Skryleva: Im Moment ist es aufgrund der Pandemie schwierig was zu machen zum einen. Zum anderen haben die humanitären Fragen Priorität.

Wie versuchen sie persönlich zu helfen?

Anna Skryleva: Ich kümmre mich um eine Familie aus der Ukraine – das ist die Mutter und die Schwester von einem Cellisten der 2016 in meinem Projekt gespielt hat. Er darf leider nicht ausreisen und sein Vater auch nicht.

Die sind jetzt in Polen angekommen und werden bald in Magdeburg ankommen. Da die Mutter bis vor kurzem in Kiew in der Nationaloper gespielt hat und bei uns im Orchester ist Bedarf – dann hab ich das initiiert und sie wird einen Zeitvertrag in unserem Orchester kriegen.

Das ist bestimmt auch eine sehr emotionale Situation für sie?

Anna Skryleva: Das war ein sehr emotionaler für mich, als der Vater mir die SMS geschickt hat. Als ich mir vorgestellt habe, dass der Vater und der junge Cellist in der Ukraine bleiben und vielleicht in den Krieg ziehen müssen, da stockte mir das Herz.

Waren sie selbst schon mal in der Ukraine?

Anna Skryleva: Ich war 2015 in der Ukraine, weil ich das Land unbedingt kennenlernen wollte und mir nicht mehr von der russischen Seite erzählen lassen, dass dort nur Nationalisten leben.

Das war so wunderbar, das war so herzlich und die Leute waren so freundlich. Da dachte ich, wie kann man ein Land verurteilen, in dem man nie war. Dann hab ich auch meinen russischen Freundinnen erzählt: „ihr müsst in die Ukraine fahren und euch selbst ein Bild machen.“

Die Ukrainer gewinnen ja momentan mit ihrem Kampfeswillen und Durchhaltevermögen die Herzen der Welt. Ist das auch der Eindruck den sie von ihren Freunden aus der Ukraine gewinnen?

Anna Skryleva: Absolut. Ich muss ehrlich sagen ich bin so fasziniert von dem Mut dieser Nation und dass sie schon seit mehreren Jahren so kämpfen für ihre Ideale und Freiheit.

Sie hatten die Möglichkeit in die Ukraine zu reisen. Viele Russen aber nicht, die sind von den Informationen aus den Medien abhängig. Wie schätzen sie da die Lage in Russland ein - bekommen die Menschen alle Informationen?

Anna Skryleva: Über die Staatsmedien nicht, weil die ihre Version verbreiten um ihre Politik weiter treiben zu können. Die alternativen Medien, die noch da waren, wurden jetzt abgeschafft.

Einige Journalisten sind geflohen, auch einige russische Medienleute sind untergetaucht. Das macht mir richtig Angst. Niemand weiß wo sie sind, ob sie geflohen sind oder abgeholt wurden. Das weiß noch keiner.

Und ein paar Freunde die schreiben mir SMS und entschuldigen sich, dass sie nichts öffentlich sagen, weil sie Angst haben.

Kommt es für Sie in Frage nochmal nach Russland zu reisen?Anna Skryleva:

Anna Skryleva: Je länger das Regime bleibt, dann kann ich nicht mehr nach Russland. Dort wurde ein Gesetz verabschiedet, dass man bis zu 15 Jahre Haft bekommt, wenn man nach der russischen Meinung falsche Informationen verbreitet.

Das bedeutet für mich, dass was ich jetzt hier sage – wenn ich jetzt nach Russland fahre, könnte ich dort verhaftet werden und bis zu 15 Jahre Haft bekommen obwohl ich auch deutsche Staatsbürgerin bin.

Aber das interessiert keinen. Deswegen ist es für mich vorläufig gestorben, nach Russland zu fahren und meine Mutter kann auch nicht herkommen, weil alles zu ist. Das ist meine große Sorge, dass ich meine Mutter nicht mehr wiedersehe – sie ist Anfang 70.

Russischsprachige Menschen werden momentan weltweit angefeindet – was halten sie davon?

Anna Skryleva: Nach der Sprache kann man Menschen nicht einer Nationalität zuordnen. Es gibt so viele Leute in Deutschland und der ganzen Welt die einen russischen Pass haben aber dort nicht mehr leben.

Wer sind wir eigentlich?! Ich bin zum Beispiel in Russland geboren und werde immer als russische Dirigentin identifiziert. Ich finde es wunderbar, das ist mein Heimatland.

Aber ich bin deutsche Staatsbürgerin. Hier in Deutschland bin ich für alle Russin, aber in Russland bin ich keine Russin mehr. Wer bin ich eigentlich?

Was macht Sie an der Situation am traurigsten?

Anna Skryleva: Ich fand es so wunderbar, dass unsere Welt so multikulturell geworden ist. Die Generation unserer Kinder – die sind fast alle 2,3-sprachig. Das find ich so wunderbar, weil die Kinder viel offener sind und die Welt ganz anders sehen.

Und auf einmal stehen wir in mehreren Familien vor dem Konflikt: wer sind wir? Sind wir Russen, Ukrainer oder das oder dies?!

Die Sanktionen gegen Russland treffen nun gerade auch junge Leute – ob der Ausschluss aus dem internationalen Sport oder die Aussetzung von Stipendien. Was halten sie davon?

Anna Skryleva: Natürlich als der Krieg ausgebrochen ist, war die Welt schockiert und entsetzt – deswegen auch die Reaktionen. Ich hoffe, dass dieser Krieg bald beendet wird und wir die Ukraine wiederaufbauen.

Ich hoffe, dass man dann runterkommt und sagt man kann nicht pauschal alle Menschen die in Russland leben ausgrenzen. Das wäre auch falsch.

Kommt die Einstellung aus ihrer Kindheit?

Anna Skryleva: Ich bin noch in der Sowjetunion geboren. Ich kann mich an die Zeit dort sehr gut erinnern. Wir hatten gar keine Ahnung was in der Welt passiert. Wenn wir eine offene und demokratische Welt wollen, müssen wir vor allem jungen Menschen ermöglichen die Welt zu sehen und Erfahrungen zu machen.

Wie stehen sie zu der Entlassung von dem russischen Dirigenten Gergiew, weil er sich nicht deutlich von Putin distanzieren wollte.

Anna Skryleva: Gergiew ist ein fantastischer und genialer Musiker. Aber er war immer Putin-nahe und nahe an dem System und hat das auch immer öffentlich unterstützt und sich politisch eingesetzt. In dem Fall wurde er nicht als Musiker entlassen, sondern als Person, die politisch beteiligt ist.

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