Das erste Gläschen Rotwein nach 75 Tagen selbstauferlegter Abstinenz wird Pal Dardai kaum schmecken. Traditionell verzichtet der Trainer vonHerthaBSC vom Jahresbeginn bis zu seinem Geburtstag auf Alkohol. Größere Feierlaune herrscht beim Coach des Berliner Fußball-Bundesligisten aber am Dienstag zu seinem 45. nicht. Das 0:2 in Dortmund und die Siege der Konkurrenz aus Mainz und Bielefeld haben die ohnehin schwierige Lage verschärft. Riesig erscheinen die sportlichen Probleme mit derHertha. Auf dem Trainingsgelände am Schenkendorffplatz erwartet Dardai ein ziemlich grauer Arbeitstag.
Nun ist es doch passiert.Herthasteht erstmals in dieser Saison auf dem Relegationsrang. Bislang hielt auch Dardai nach seiner Amtsübernahme Ende Januar den Krisenclub immer noch knapp über dem Strich und begründete seine nach außen vorgetragenen Gelassenheit mit dem Argument:"Wir sind nicht auf einem Abstiegsplatz." Erst wenn er nicht mehr gut schlafen könne, gebe es Anlass zur Sorge. "Ich habe nicht viel geschlafen. Ich mache mir Gedanken: Wie kann das sein?", sagte Dardai nach dem Dortmund-Spiel. Dabei ist derHertha-Rekordspieler gerade jetzt als Motivator besonders gefordert.
Mainz (17./21 Punkte) und Bielefeld (15./22) spüren nun den Auftrieb, denHertha(16./21) noch vor einer Woche nach dem Sieg gegen Augsburg für sich reklamierte. Immerhin hielt Lokalrivale Union den 1. FCKöln (14./22) in Schach. Augsburg (13./29), Bremen (12./30) und Hoffenheim (11./30) sind erstmal raus aus dem gröbsten Schlamassel.
Einer patzt irgendwie immer. Nun erwischte es in Dortmund auch noch den zuletzt soliden Torwart Rune Jarstein. Und Vladimir Darida, beileibe kein Ausbund an aggressiver Spielweise, wird nach seinem Tritt gegen Marco Reus und der folgenden Roten Karte mindestens zwei Spiele fehlen.
Zudem sind es ziemlich viele kleinere und größere Wehwehchen, die die Berliner weiter beschäftigen. Neben Nemanja Radonjic kehren immerhin die gegen Dortmund kurzfristig nicht verfügbaren Santiago Ascacibar, Matteo Guendouzi und Eduard Löwen zurück. In den wichtigen Personalien Sami Khedira und Matheus Cunha will Dardai erste Trainingseindrücke abwarten, bevor er Hoffnungen weckt. Kapitän Dedryck Boyata wird weiter schmerzlich vermisst.
"Wir wollen die größte Aufholjagd, die der deutsche und vielleicht der internationale Fußball je erlebt hat", sagte der Chef der Geschäftsführung, Carsten Schmidt, kürzlich dem Magazin "Horizont". Er meinte damit die große Perspektive. Jetzt brauchtHerthaaber erstmal eine kleine Aufholjagd zumindest auf Platz 15 bis zum 22. Mai. Das wird schwer genug.
Die nächsten Aufgaben lauten aus der oberen Tabellenhälfte: Bayer Leverkusen, Union Berlin und Borussia Mönchengladbach. Erst im Saison-Schlussspurt folgen die direkten Partien, unter anderem beim abgeschlagenen Schlusslicht Schalke, in Mainz und gegen Köln und Bielefeld. Dardai wird wie gegen Augsburg erfolgreiche "Muss-Spiele" ausrufen müssen, um den sechsten Bundesliga-Abstieg zu verhindern. Gelingt dies, wird ihm ein Glas Rotwein sicher schmecken.