Mit zwei gestandenen Politikerinnen an der Spitze wollen die Grünen ihren Einfluss auf die Landes- und Bundespolitik bei den Wahlen 2021ausbauen. Am Freitag, 4. September 2020 wählte der Landesparteitag in Halle die Fraktionschefin im Landtag und frühere Parteichefin, Cornelia Lüddemann, zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl. Auf derListe zur Bundestagswahl gaben die gut 100 Delegierten der langjährigen Bundestagsabgeordneten und früheren Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, den Spitzenplatz. Beide bekamen mit einer Zustimmung von deutlich über 80 Prozent ein gutes Ergebnis mit auf den Weg in den Wahlkampf.
Lemke ist in Sachsen-Anhalt eine Grüne der Stunde Null. Schon Ende der 80er engagierte sie sich für den Umweltschutz und gehörte 1990 zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in der DDR. 1994 zog sie erstmals für die Grünen in den Bundestag ein. Die Schaumkronen auf der Mulde aus Abfällen der Chemieindustrie habe sie damals in den Umweltschutz getrieben, sagte die 52-Jährige am Samstag.
Diese Schaumkronen gebe es heute zwar nicht mehr. Überhaupt habe sich in Deutschland einiges getan im Umweltschutz. Es werde aber trotzdem noch Braunkohle abgebaggert und verheizt - nur dort, wo wir es nicht mehr sehen. «Wir haben einen Großteil der Umweltzerstörung nach Asien verlagert», sagte Lemke auf dem Parteitag. Sie wolle sich für einen weltweiten Umwelt- und Klimaschutz einsetzen. Dafür müsse man auch die großen Ölkonzerne in ihre Schranken weisen.
Das gelte auch für andere Groß- und Finanzkonzerne wie den Vermögensverwalter Blackrock, bei dem CDU-Vorstandskandidat Friedrich Merz jahrelang arbeitete. Wenn Merz CDU-Chef werde, sagte Lemke, «dann haben wir die Aufgabe dafür zu sorgen, dass er nicht Bundeskanzler wird». Die Delegierten reagierten mit lautem Applaus. Als weiteres zentrales Thema der kommenden Jahre nannte die Dessauerin den Kampf gegen rechts und die AfD. «Nicht die 100 Demonstranten auf den Treppen des Reichstag sind das Problem, sondern die Hintermänner», sagte die Abgeordnete mit Blick auf die Eskalation der Demonstrationen gegen die Corona-Politik vorige Woche. Die AfDhabe den Extremisten nicht nur den Boden bereitet, sie habe sich sogar mit 39 Bundestagsabgeordneten in die Proteste eingereiht.
Auch Lüddemann hatte dem Thema in ihrer Bewerbungsrede am Freitag viel Raum gegeben und nahm dabei auch den Koalitionspartner im Landtag in die Pflicht. Die CDU müsse sich entscheiden und klare Kante zeigen gegen rechts, sagte Lüddemann. «Nach außen und nach innen». Der rechte Flügel der CDUin Sachsen-Anhalt habe der AfDin der ablaufenden Legislatur immer wieder Avancen gemacht - und gleichzeitig gegen die Grünen geschossen. Das habe viel Kraft gekostet. Dennoch hätten die Grünen für ihre 5,2 Prozent, mit denen sie 2016 in die Kenia-Koalition eingetreten waren, «megamäßig viel erreicht.» Das gelte etwa für den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft oder das Grüne Band auf dem ehemaligen Todesstreifen.
Einen weiteren Schwerpunkt setzte Lüddemann beim Thema Verkehr. «Ich will in Sachsen-Anhalt gemeinsam mit euch die Vormachtstellung des Autoverkehrs brechen», rief sie den Delegierten zu, die das mit lautem Jubel honorierten. «Unser Land braucht keine Verkehrspolitik wie vor 25 Jahren, sondern eine echte Mobilitätswende». Fahrradfahrer, Fußgänger und Bahnfahrer müssten stärker gefordert werden. Verkehrsminister Thomas Webel (CDU)regiere «seit Jahren aus dem Ruhestand heraus».
Hinter Lüddemann wählten die Delegierten die beiden Parteivorsitzenden Sebastian Striegel und Susan Sziborra-Seidlitz auf die Plätze zwei und drei. Striegel und Umweltministerin Claudia Dalbert sollen mit Lüddemann das Spitzenteam für den Wahlkampf bilden. Dalbert kandidiert nicht selbst, soll aber Ministerin bleiben. Auch die Landtagsabgeordneten Olaf Meister, Dorothea Frederking und Wolfang Aldag bekamen aussichtsreiche Plätze.
Eine Quereinsteigerin wählte der Parteitag mit der ehemaligen Schwimmerin und Olympionikin Antje Buschschulte auf Listenplatz neun. Auf Platz zwölf setzte sich Marek Boeck, der erst Ende des Jahres volljährig wird, durch. Der Azubi hatte in Dessau-Roßlau die Fridays For Future(FFF) Bewegung mit gegründet. Mit Listenplatz zwölf hat Boeck jedoch nur geringe Chancen, es ins Parlament zu schaffen. Dafür müssten die Grünen, die derzeit mit fünf Abgeordneten im Landtag sitzen, ihr Ergebnis von 2016 mehr als verdoppeln. Einen aussichtsreicheren Platz bekam die Bewegung von Greta Thunberg auf der Landesliste für die Bundestagswahl:Dort wählten die Grünen Urs Liebau, Mitgründer des Bündnisses in Magdeburg, auf Platz zwei.
Liebau berichtete den Delegierten, wie er in Magdeburg die erste FFF-Demo angemeldet hatte - für 50 Teilnehmer. 500 seien schließlich gekommen. «Wir haben die Aufgabe, diese politischen Kräfte zu bündeln und in politische Maßnahmen umzusetzen», sagteder 25-Jährige. Bei der Bundestagswahl 2017 hatten die Grünen in Sachsen-Anhalt nur 3,7 Prozent der Stimmen bekommen, das reichte nur für ein Mandat. Laut Umfragen kann die Ökopartei im kommenden Jahr mit einem deutlich besseren Ergebnis rechnen, Liebau hat damit realistische Chancen.