Die Chemikerin und "Quarks"-Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim hat gestern ein interessantes Video gepostet. Auf ihremYouTube-Kanal "maiLab" erschien "Corona geht gerade erst los". Echt hörenswerte 20Minuten, die bis jetztschon mehr als 1.5Mio. mal abgerufen worden sind und es unter die TOP 10 der deutschen YouTube-Trends schafften.
Die Preisträgerin des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises 2019 erklärt zum Beispiel ziemlich anschaulich, was Herdenimmunität bedeutet: erst, wenn sich 60-70 % der Bevölkerung infiziert undwieder erholt haben und immun sind - dann hätten wir Herdenimmunität. Das heißt 48-56 Mio. Deutsche müssten das Virus bekommen und besiegt haben! Im Moment sind 73.000 Fälle bekannt. Sogar, wenn man davon ausgeht, dass die Dunkelziffer 10-mal so hoch ist, wären es erst 730.000 Fälle - nicht mal 1 Mio. von 48.000.000 ... wir haben also momentannicht mal 1 % Herdenimmunität in Deutschland.
Doch: die Epidemie endet nach Nguyen-Kim erst, wenn entweder ein Impfstoff da ist oder die großflächige Herdenimmunität erreicht ist ...
Die Wissenschaftlerin findet, dass zu wenig oder undeutlich gesagt wird, wie lange es noch dauert, bis wir Corona im Griff haben. Dabei wären die Eckdaten dafür eigentlich schon klar. Dazu erläutert sie zuerst die "Phasen der Epidemiebekämpfung"
Heißt: Eindämmung - idealerweise versucht man in der Phase, den Virus bzw. seine Ausbreitung im Keim zu ersticken. Kranke isolieren, Kontakte des Kranken finden und isolieren. Überblick behalten und die Verbreitung verhindern. Wenn diese Maßnahmen die Möglichkeiten der Verwaltung sprengen - wie z. B. in Heinsberg wegen der Karnevalsfeier - kommt Phase 2.
Schadensbegrenzung! Keine Veranstaltungen mehr, Abstand halten, Homeoffice ... in dieser Phase will man die Ausbreitung verlangsamen. "FlattenThe Curve" gehört in diese Phase, in der wir in Deutschland gerade sind - die Infektions-Kurve abflachen, also das sprunghafte Ansteigen der Infektion stoppen. Doch hier liegt eine trügerische Gefahr: Man verlangsamt die Ausbreitung der Epedemie zwar und schützt damit das Gesundheitssystem vor einem Kollaps.Aber: Um wieder eine funktionstüchtige Wirtschaft und ein funtionierendes Gesundheitssystem garantieren zu können, müssen wir zurück zu Phase 1 kommen - und das dauert! Es gibt verschiedene Rechenmodelle dazu, wie lange das dauern kann. Fakt ist, laut Nguyen-Kim, nach Ostern ist noch gar nichts erreicht!
Um die Epedemie wieder in Phase 1 zu bekommen, muss die Fallzahl der Neuinfizierten ganz stark dezimiert werden. Entscheidend dabei ist die sogenannte "Reproduktionszahl".Wenn die Reproduktionszahl z. B. 3 wäre, hieße das, dass jeder Infizierte im Schnitt 3 Menschen ansteckt.Wenn die Zahl "0" ist, steckt sich keiner mehr an - aber es reicht schon, wenn die Zahl unter 1 sinkt, dann kommt die Epidemie zum Erliegen. Je kleiner die Reproduktionszahl, desto flacher die Infektionskurve ... aber wie flach ist flach genug? Dazu betrachtet die Journalistin Modellrechnungen derDeutschen Gesellschaft für Epidemologie. Das wären zwar keine Voraussagen, aber sie gäben doch einen Rahmen für unsere Vorstellung vom Ende der Krise. Um das deutsche Gesundheitssystem nicht zu überlasten, bräuchte es demnach Maßnahmen, die die effektive Reproduktionszahl auf einen Bereich zwischen 1,25 und 1,1 senken. Ob die aktuell geltenden Maßnahmen hierfür in die richtige Richtung gehen, so die Journalistin, würden die nächsten Tage zeigen - die Zahlen müssen ja erst noch auf den Tisch kommen und ausgewertet werden. ABER: auch die positivsten Rechenmodelle gehen davon aus, dass es 1-2 Jahre dauert, bis es keine strengen Maßnahmen mehr braucht! Nur - das geht ja so nicht, stellt sie fest.Man könneja nicht 1 Jahr lang alles stoppen, wie wir es gerade tun. Damit wäre ihrer Meinung nach aber auch klar: "FlattenThe Curve" ist nicht DER Masterplan, der alles rettet. Damit ist eine Herdenimmunität nicht zu erreichen!
Um zu Phase 1 zurück zu kommen, waren die bisher getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung angemessen und richtig, meint die Chemikerin und Moderatorin. Sie bemüht noch einmal ein Rechenmodell und zeigt, dass man theoretisch 2 Monate bräuchte und bei einer Fallzahl von 70.000 Infizierten und dem Versuch, die Reproduktionszahl auf 0,5zu senken, einen,sie nennt es "Wuhan-Style", Lockdown bräuchte, um wieder bei händelbaren1.000 Fällen zu landen. Nur mal so: wir haben gerade aktuell über 73.000 Infizierte in Deutschland ... die Vorstellung, dass noch 2 Monate mit Kontaktverboten und Ausgangsbeschränkungen nötig wären, ist echt gruselig.