Früh ins Amt des Bundespräsidenten gekommen und schnell wieder hinaus - die steile Politkarriere des Christian Wulff endete jäh. Doch heute hat er oft einen Terminkalender, als wäre er noch Staatsoberhaupt. Zum 60. hört man von ihm Ungewöhnliches für einen Politiker.
Wäre alles optimal gelaufen, dann würde seine Dienstanschrift noch immer «Spreeweg 1, 10557 Berlin» lauten. Er würde zu Staatsbesuchen ins Ausland reisen, Botschafter anderer Staaten empfangen, Verdienstorden aushändigen, wohl formulierte Reden halten. Und vielleicht würde er schon mal erste Gedanken darauf verwenden, was er nach dem Ende seiner Amtszeit Mitte kommenden Jahres machen könnte. Wie gesagt, wenn es optimal gelaufen wäre.
Doch bei Christian Wulff lief es nicht optimal. Seine Amtszeit als Bundespräsident endete bereits nach 598 Tagen im Februar 2012 mit einem Rücktritt. Statt im noblen Schloss Bellevue an der Spree empfängt er Besucher heute in einem nüchternen Bürogebäude des Bundestags, das aber immerhin am Boulevard «Unter den Linden» liegt.
So jung wie er wurde zuvor niemand Bundespräsident, so schnell wie er wurde niemand wieder aus dem Amt katapultiert - der Mann hätte also Grund, verbittert zu sein. Doch wie er in seinem Büro in einem schweren dunklen Ledersessel sitzt, über sein Leben spricht und den Zustand der Republik analysiert, vermittelt Wulff einen ausgesprochen gelassenen Eindruck. Dazu passt seine Selbstbeschreibung: «Ich bin ein zufriedener Mensch.» Zufrieden, weil er dankbar sei für das, was er für seine Heimatstadt Osnabrück, das Land Niedersachsen und die Bundesrepublik leisten durfte. An diesem Mittwoch (19.) wird er 60.
Rückblick: Am 17. Februar 2012 spricht Wulff im Schloss Bellevue die schwierigsten Sätze seiner bis dahin so erfolgreichen Laufbahn: Deutschland brauche einen uneingeschränkt handlungsfähigen und vom breiten Vertrauen der Bürger getragenen Präsidenten. Dies sei bei ihm aber nachhaltig beeinträchtigt. Er könne seine Aufgabe nicht mehr im erforderlichen Maß wahrnehmen. «Ich trete deshalb heute vom Amt des Bundespräsidenten zurück, um den Weg zügig für die Nachfolge freizumachen.»
Alles fing Wochen zuvor mit einem Bericht der «Bild»-Zeitung über einen günstigen Kredit über 500 000 Euro zum Kauf eines Hauses durch eine befreundete Unternehmergattin an. Als die Staatswaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität beantragt, tritt Wulff am Tag darauf zurück. Später folgen weitere Vorwürfe der persönlichen Vorteilsnahme - die einer nach dem anderen in sich zusammenfallen. Am Ende steht 2014 ein Freispruch erster Klasse vor dem Landgericht Hannover. Bundespräsident ist da längst Joachim Gauck.
In seinem Buch «Ganz oben Ganz unten» legt Wulff seine Sicht der Ereignisse dar und verarbeitet sie. Und er schließt sie für sich ab, wie er heute sagt. Darüber nachzugrübeln, dass er jetzt noch ein Jahr lang Bundespräsident wäre, falls er 2015 wiedergewählt worden wäre, hält er für «völlig vertane Zeit». Nach vorne schauen, lautet seine Devise.
So hält Wulff heute wieder Reden, trifft sich mit Botschaftern, pflegt internationale Kontakte - fast so, als wäre er weiter Staatsoberhaupt. Auch die Bundesrepublik vertritt er noch hin und wieder - so im Mai bei der Amtseinführung des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew, mit dem er zwei Stunden nach der Vereidigung sprach. «Man ist viel freier, ist nicht ans Protokoll gebunden», beschreibt er die Vorzüge seines heutigen Tuns.
Dazu gehören auch Ämter wie der Vorsitz der Deutschlandstiftung Integration. «Am meisten bewegt mich, wie sich der Zusammenhalt in der Gesellschaft sichern lässt», sagt der frühere niedersächsische CDU-Ministerpräsident (2003 bis 2010). «Das ist mein großes Thema.» Daneben ist Wulff zum Beispiel Präsident des Deutschen Chorverbandes, Präsident eines globalen Bündnisses kleiner und mittlerer Unternehmen und Schirmherr der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft.
Was bleibt von zwei Jahren Staatsoberhaupt? Es ist vor allem der Satz «Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland». Er klingt wie eine Selbstverständlichkeit, doch Hardliner in der Union können sich darüber noch immer echauffieren.
Nun also wird er 60, was er nach eigenem Bekunden nicht besonders feiernswert findet. Mit seinen Kindern und Freunden will er den Tag verbringen. Der Name seiner Noch-Ehefrau Bettina fällt nicht. Beide trennten sich erst, fanden wieder zusammen und gehen nun doch wieder getrennte Wege. Noch ein potenzieller Grund für Bitterkeit - doch Wulff sagt über sich:«Ich führe ein glückliches Leben.»