Nach dem Bruch der Ampel-Koalition macht Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) Druck für eine baldige Neuwahl. Zwar setzt die Minderheitsregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf die Union als Mehrheitsbeschaffer für Gesetze noch in diesem Jahr. Doch deren Kanzlerkandidat Merz und CSU-Chef Markus Söder wollen Sozialdemokraten und Grünen nicht beim Weiterregieren helfen.
Es gehe nicht an, «irgendwelche Ampel-Projekte, die nicht mal in der Ampel eine Mehrheit haben, künstlich durchzuwinken», sagte Söder in der ARD-Sendung «Maischberger». Merz bekräftigte in einem ARD-«Brennpunkt», vor einer Vertrauensfrage werde die Union mit Scholz' Minderheitsregierung nicht über gemeinsame Beschlüsse sprechen. «Wir werden uns hier vom Bundeskanzler nicht vorführen lassen. Wir lassen uns auch nicht für das Versagen dieser Regierung in die Mitverantwortung nehmen.»
Scholz will am 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Eine vorgezogene Bundestagswahl könnte dann Ende März stattfinden.
Nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner bekamen der FDP-Vorsitzende sowie die aus der Regierung ausgetretenen Ressortchefs Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung) ihre Entlassungsurkunden. Neuer Finanzminister ist der wirtschaftspolitische Berater des Kanzlers, Jörg Kukies (SPD). Der aus der FDP ausgetretene Verkehrsminister Volker Wissing bleibt im Amt und wird zugleich Justizminister. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) übernimmt zusätzlich das Bildungsressort.
Geht es nach Union und AfD müsste Scholz den Weg für Neuwahlen eigentlich schon in der kommenden Woche freimachen. Am Mittwoch plant der Kanzler eine Regierungserklärung im Bundestag. Direkt danach wäre die ideale Gelegenheit für die Vertrauensfrage, sagte Merz. «Dann könnten wir schnell abstimmen. Und dann haben wir bis Weihnachten noch genug Zeit, über alle Themen zu sprechen, die wir besprechen müssen. Aber die Entscheidung liegt bei ihm.»
Auch AfD-Chefin Alice Weidel erklärte: «Nächste Woche haben wir eine Regierungserklärung am Mittwoch - da könnte er (Scholz) zum Beispiel die Chance nutzen, die Vertrauensfrage zu stellen.» Söder betonte, rasche Neuwahlen könnten dazu führen, dass Deutschland schon eine neue Regierung gewählt habe, wenn Donald Trump sein Amt als US-Präsident antritt. Das wäre am 20. Januar.
Der von Scholz aus der Regierung geworfene FDP-Chef Lindner warnte vor einem «Schwebezustand, in dem es keine Gesetzgebung gibt und in dem es keine handelnde Regierung gibt». Deshalb habe er eigentlich gewollt, dass die Koalition gemeinsam zu einer geordneten, schnellen, würdevollen Neuwahl aufrufe, sagte der 45-Jährige in der ZDF-Sendung «Was nun, Herr Lindner». Auch Söder warnte, eine Verzögerung schwäche das Land fundamental.
Merz rechnet vor einer Neuwahl nicht mehr mit größeren politischen Beschlüssen oder Reformen. «Wir werden mit dieser Regierung keinen Aufschwung mehr hinbekommen, sondern wir werden allenfalls ein paar Restbestände noch weggeräumt bekommen», sagte der Frontmann der Union.
Baerbock setzt beim Ringen um eine Mitwirkung der Union an Gesetzen auf das persönliche Gespräch mit Merz. «Das Wichtigste in schwierigen Situationen ist es, vertrauensvoll miteinander zu sprechen», sagte sie. Die Grünen-Politikerin begründet ihre Hoffnung auf eine Verständigung auch damit, dass die Union - nach entsprechenden Gesprächen - auch ein Sondervermögen für die Bundeswehr mitgetragen hatte.
«Naiv» wäre es hingegen, wenn SPD und Grüne ohne eine generelle Verständigung mit der Union auf einzelne Abweichler aus deren Reihen im Bundestag setzen würden, sagte Baerbock. Ein kürzliches Gespräch zwischen Merz und Scholz war nach Angaben aus der Unionsfraktion ergebnislos geblieben.
Merz kritisierte danach auch Scholz' persönliche Abrechnung mit Lindner und bezeichnete den Auftritt des Kanzlers als «unwürdig». «Das wäre nicht mein Stil», sagte er. «Und das gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was wir von der SPD und von Olaf Scholz auch im Bundestagswahlkampf erwarten dürfen.»
Lindner beklagte, Scholz werfe ihm Steine hinterher. «Ich werde diese Steine nicht aufheben und zurückschmeißen.» Er habe sich für einen anderen Umgangsstil entschieden. «Und meine Sorge ist, dass die Sitten in unserem Land so verrohen, dass am Ende die Demokratie selbst Schaden nehmen könnte.»
65 Prozent der Menschen in Deutschland sind für eine möglichst schnelle Neuwahl des Bundestags, wie eine Umfrage von Infratest-Dimap für den ARD-Deutschlandtrend zeigt. Einen Termin im März - wie ihn Scholz anpeilt - halten 33 Prozent für die bessere Lösung. Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF: Dort waren 30 Prozent für März, aber 54 Prozent für einen früheren Termin.
Der ARD-Umfrage zufolge begrüßen 59 Prozent der Bundesbürger das Aus der Ampel. 40 Prozent machen die FDP für das Scheitern verantwortlich. 26 Prozent sehen die Schuld bei den Grünen, nur 19 Prozent bei der SPD.