Die Befürchtungen waren groß, der laute Knall blieb aber aus: Die AfD von Rechtsaußen Björn Höcke hat bei den Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen in Thüringen keinen Sieg im ersten Anlauf geschafft, rückt der CDU aber in einer Reihe von Kommunalparlamenten auf die Pelle. In einigen Kreistagen gibt es bei den Stimmenanteilen sogar absehbar eine Pattsituation. Für Aufregung sorgte das Abschneiden eines Neonazis bei der Landratswahl im Kreis Hildburghausen - Tommy Frenck schaffte es mit 24,9 Prozent in die Stichwahl.
Neun von 13 angetretenen AfD-Kandidaten kamen in die Stichwahl oder standen nach letzten Auszählungsständen kurz davor - vor allem gegen CDU-Kandidaten. Allerdings lag die AfD nur im Landkreis Altenburger Land in Ostthüringen vorn. Teils landeten ihre Bewerber weit hinter denen der anderen Parteien.
Nach Einschätzung des Bochumer Politikwissenschaftlers Oliver Lembke entwickelt sich die AfD zu einer kommunalen Kraft. «Sie erobert keine Rathäuser. Aber sie zwingt die CDU in die Stichwahl», sagte Lembcke, der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena promoviert und etliche Jahre in Thüringen gelebt hat.
Es reiche nicht für die Führung auf kommunaler Ebene. Der AfD sei es aber stärker gelungen, ihr Potenzial, das sie auf Landesebene in Umfragen hat, auch in den Kommunen auszuschöpfen. Dort liegt sie seit Monaten bei um die 30 Prozent und Platz eins. Die Thüringer AfD wird vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet.
Lembcke rechnete damit, dass sich die CDU bei den Stichwahlen am 9. Juni weitgehend durchsetzt, weil es zu Allparteien-Allianzen gegen die AfD kommen werde. «Die AfD hat es in der Weise vermasselt, weil sie das schlechtmöglichste Bild in den vergangenen Wochen abgegeben hat», sagte er mit Blick auf die zahlreichen Skandale in der AfD.
Die Partei rutschte zuletzt auf Bundesebene in eine Krise. Grund sind Äußerungen des AfD-Europawahlspitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS und eine Spionageaffäre um einen seiner Mitarbeiter. Gegen die Nummer zwei auf der AfD-Europawahlliste, Petr Bystron, laufen Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit und der Geldwäsche.
Die CDU, die auf kommunaler Ebene in Thüringen traditionell stark ist, konnte ihre Position halten und hat Chancen auf eine Reihe von Landratsämtern. In der Landeshauptstadt Erfurt hat sie Aussicht auf eine Rückeroberung des Rathauses nach 18 Jahren SPD-Führung. In mehreren Regionen vollzog die CDU einen Generationenwechsel. So traten etwa die beiden dienstältesten Landräte in Deutschland, Werner Henning (Eichsfeld) und Martina Schweinsburg (Greiz, beide CDU), aus Altersgründen nicht mehr an.
Lembcke sagte, es habe Folgen, dass die AfD in den Kreistagen, Stadträten und Gemeinderäten mehr Sitze bekommen wird. «Es wird noch schwerer, sie auszugrenzen, in manchen Fällen wird es gar nicht mehr funktionieren können. Das ist ja auch nicht so sehr überraschend bei einer Partei, die in den Umfragen immer wieder auf 30 Prozent kommt.» Durch diese Stärke in den kommunalen Vertretungen werde das Thema Brandmauer «faktisch immer mehr zu einer Metapher werden, die sich zum Ballast für die CDU entwickelt».
Die AfD werde mehr «Erpressungsmacht» erhalten, «mitmachen zu dürfen». «Sie wird immer mehr erpressen können, dass ihre Vorlagen, ihre Gedanken mehr berücksichtigt werden, dass man mit ihnen spricht und sich mit ihnen abstimmt», sagte Lembcke. «Ich würde erwarten, dass sie als kommunale Macht viel stärker als bisher ihre Ausgrenzung wegarbeiten kann.»
Bei den Wahlen der Kreistage und Stadträte der kreisfreien Städte in Thüringen lagen CDU und AfD nach einem Zwischenstand fast gleichauf. Nach Auszählung von über zwei Dritteln der Stimmbezirke kam die CDU in der Nacht zum Montag auf 27,5 Prozent, die AfD lag bei 27,0 Prozent. Während sich die AfD im Vergleich zu 2019 um fast zehn Punkte verbesserte, hielt die CDU bei diesem Auszählungsstand ihren Stimmenanteil weitgehend stabil. Verluste erlitten Linke, SPD und Grüne, die in Thüringen die Landesregierung stellen. Im Landkreis Sonneberg, wo die AfD ihren deutschlandweit ersten Landrat stellte, lag die Partei am Abend deutlich vorne.
Rund 1,74 Millionen Menschen waren in Thüringen am Sonntag zu Kommunalwahlen im Großformat aufgerufen: 13 von 17 Landräten waren zu wählen sowie 5 Oberbürgermeister der kreisfreien Städte. Außerdem wurden flächendeckend Kreistage, Gemeinde- und Stadträte sowie ehrenamtliche und hauptamtliche Bürgermeister gewählt.