Zwei Frauen beobachten Motorradfahrerin Emily aus ihrem offenen Autofenster. Als sich die Potsdamerin zu ihnen umdreht, strecken sie ihre Daumen in die Höhe, eine formt mit ihren Händen ein Herz.
"Das sind eigentlich meine Lieblingsbegegnungen, wenn du so unerwartet von Frauen Komplimente kriegst", sagt die 28-jährige Motorrad-Influencerin. Ihr Reel «Girls supporting girls», in dem diese Begegnung zu sehen ist, hat auf Instagram mehr als 12 Millionen Aufrufe. Aktuell ist es eines ihrer erfolgreichsten Kurz-Videos, auch wenn ein anderes mit mehr als 24 Millionen noch deutlich mehr Aufrufe hat.
Seit dem Frühjahr klemmt Emilys 360-Grad-Kamera bei jeder Fahrt am Außenspiegel ihres Motorrads. Weil auf ihrem Arbeitsweg von Potsdam nach Berlin häufig lustige Dinge passieren, hat sich die ausgebildete Mediengestalterin für Bild und Ton gedacht: «Ich filme jetzt mal einfach jede Fahrt mit und gucke, was passiert.»
Als Emily aus dem Material ihr erstes Video zusammenschneidet, muss sie lachen und beschließt, es hochzuladen. «Meine Freunde haben sich alle totgelacht und da dachte ich: Okay, komm, ich habe hier noch was für euch und ich habe auch noch was für euch. Und dann ist es auf einmal explodiert.» Auf einmal hätte sie Hunderte Kommentare unter ihren Videos gehabt, erzählt Emily. Schnell kam der Punkt, an dem es schwierig wurde, alle Nachrichten und Reaktionen zu verfolgen.
Auf Instagram hat die 28-Jährige inzwischen mehr als 130.000 Followerinnen und Follower. Vor ihrem ersten Motorrad-Video seien es etwa 200 gewesen, erinnert sie sich. Wenn jemand auf Emily zeigt, fragt sie sich: «Ist das jetzt normal oder ist das jetzt, weil mich schon jemand erkannt hat?» Deutlicher wird das in ihren Direktnachrichten auf Instagram. Nach dem Motorradfahren liest sie dort häufig Sätze wie «Hey, ich habe dich da gesehen». Die für sie noch recht neuen Erfahrungen beschreibt Emily als «total verrückt». Auch die «Märkische Allgemeine» hat schon über sie berichtet.
Nachrichten wie «Ich habe mich jetzt für den Motorradführerschein angemeldet wegen dir» machen Emily bewusst, welchen Einfluss ihre Videos auf andere Leute haben. «Ich glaube, deswegen ist es auch umso wichtiger, dass man Schutzkleidung trägt», sagt die Influencerin. Ihre langen, geflochtenen Zöpfe ragen in den Videos stets aus dem Helm heraus über ihre Lederkluft.
Bis ein Reel fertig ist, dauert es mehrere Stunden – auch wenn die Videos meist nicht länger als eine Minute sind und Emily das Schneiden leichtfällt. Sie arbeitet in der Werbebranche und ist dort vor allem für visuelle Effekte in TV-Spots zuständig. Auf ihrem Instagram-Profil lade sie meist Videos hoch, die Reaktionen von anderen auf sie als Motorradfahrerin zeigten oder ihre eigenen Reaktionen, sagt Emily. In ihrem aktuell erfolgreichsten Video sieht man etwa, wie sich ein Motorradpolizist mit der Hand auf den Kopf tippt. Unter Bikern warne man sich so vor einer Polizei-Kontrolle, erklärt sie. Der Mann «hat quasi einen Witz gemacht, weil er selber der Polizist ist und vor sich selbst gewarnt hat», sagt Emily und lacht.
Der Vorsitzende des Bundesverbands der Motorradfahrer, Michael Lenzen, betont, dass Motorrad-Inhalte nicht nur in sozialen Netzwerken geteilt würden, sondern auch auf Blogs oder in Foren. Gerade im Winter, wenn man nicht Motorrad fahre, ermögliche das Austausch - auch bei Älteren.
Was Motorrad-Influencerinnen und -Influencer angeht, ist aus Lenzens Sicht immer eine gewisse Selbstvermarktung dabei. Zentral sei, was transportiert werde. «Wenn jemand zeigt, dass man damit einfach vernünftig unterwegs sein kann, dass der eigene Spaß die anderen nicht belästigt und so über das Maß hinaus, dann finde ich, ist es eine gute Geschichte».
Haftet Motorradfahren der Ruf einer Männerdomäne an, so schaffen Emilys Videos auch Sichtbarkeit für Motorradfahrerinnen. Viele Frauen schrieben ihr, dass sie sie motiviere, Motorrad zu fahren, berichtet Emily. Auch ein Motorradfahrer lobt in einer Nachricht, dass durch ihre Videos endlich auch Frauen als Bikerinnen positiv wahrgenommen würden.
Mit 16 hatte Emily zunächst den kleinen Motorrad-Führerschein gemacht, später dann den großen. Deutschlandweit waren laut Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) 32 Prozent der Personen mit Fahrerlaubnis für ein Motorrad zum Stichtag 1. Januar 2024 weiblich. Der Anteil der Frauen, auf die zum selben Stichtag ein motorisiertes Zweirad zugelassen war, fiel deutlich geringer aus. Er habe bei 14 Prozent gelegen, teilt der Industrie-Verband Motorrad Deutschland mit und beruft sich dabei auf ihm vorliegende Daten des KBA.
Der Wert sei seit Jahren in etwa so hoch, erklärt Christoph Gatzweiler von dem Verband. Er geht allerdings davon aus, dass sich der höhere Frauenanteil bei der Fahrerlaubnis nach und nach auch bei den Fahrzeugen, die auf Frauen zugelassen sind, niederschlagen wird.
Emily hält das Motorradfahren immer noch für eine Männerdomäne, lernt aber über Freunde von Freunden oder auf Touren auch immer mehr Motorradfahrerinnen kennen. Lenzen vom Bundesverband der Motorradfahrer wünscht sich die gleiche Selbstverständlichkeit wie beim Autofahren: «Warum soll eine Frau nur hinten draufsitzen? Es gibt überhaupt keinen Grund.» Beim Auto würde man nicht auf die Idee kommen, zu fragen, wie viele Frauen das eigentlich führen. «So sollte es beim Motorrad auch sein.»