03.01.2025, Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Die Trauernde Magdeburg, ein Sinnbild für Leid und Zerstörung, sitzt im Westportal der Johanniskirche - hinter dem Eingang stehen Hunderte Kerzen und Blumen für die Opfer des Anschlags.

Magdeburg: Sechstes Todesopfer des Attentats

Update 06.01.2025

Nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gibt es ein sechstes Todesopfer. Eine 52-jährige Frau sei im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg der Deutschen Presse-Agentur. Sie sei an den Folgen des Anschlags verstorben.

Die Zahl der Verletzten wird mit etwa 300 angegeben. Die Zahl der Traumatisierten dürfte deutlich höher sein

Der Mann aus Saudi-Arabien, der das Attentat beging, sitzt in Untersuchungshaft. Bei den Ermittlungen rückt nun die Frage der Schuldfähigkeit des 50-Jährigen ins Zentrum der Ermittlungen. Laut der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wird ein Gutachten in Auftrag gegeben, ob und wie er psychisch erkrankt ist. 

 

Update 30.12.2024

Mehr als eine Woche nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Magdeburg mit fünf Toten beginnt die politische Aufarbeitung im Bundestag. Am Montag trifft sich der Innenausschuss zu einer Sondersitzung, um über den aktuellen Stand der Erkenntnisse zu beraten. 

An der Sitzung sollen neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auch die Chefs von Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt sowie die Magdeburger Oberbürgermeisterin Simone Borris teilnehmen. Im Fokus stehen mögliche Pannen der Behörden bei früheren Auffälligkeiten des Täters - insbesondere der mangelnde Informationsaustausch - und bei der Sicherung des Weihnachtsmarkts.

Zuvor kommt das Parlamentarische Kontrollgremium, das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist, zu einer Sitzung zusammen. Wegen Geheimhaltung werden daraus in der Regel aber keine Ergebnisse bekannt.

 

Am Freitagabend, 20.12.2024, vier Tage vor Heiligabend fuhr ein Mann in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Der 50-jährige Arzt wurde festgenommen. Es gibt mindestens fünf Tote: vier Frauen und ein 9-jähriger Junge. 

200 Menschen sind verletzt worden, zum Teil sehr schwer. «Das ist eine Katastrophe für die Stadt Magdeburg und für das Land und auch generell für Deutschland», sagte Haseloff. Der 50-Jährige Taleb A., ein Arzt, der in Bernburg tätig ist, war mit einem Mietwagen auf einem größten Weihnachtsmarkt der Landeshauptstadt durch die Menschenmenge gerast.

Der aus Saudi-Arabien stammende Mann lebt seit 2006 in Deutschland und erhielt 2016 Asyl als politisch Verfolgter. Seit 2020 arbeitete er in der Salus-Klinik, einem landeseigenen Unternehmen, in Bernburg als Facharzt für Psychotherapie im Maßregelvollzug, allerdings war er dort seit Oktober krank gemeldet. Er ist als islamkritischer Aktivist bekannt. Nun befindet sich nun in Untersuchungshaft. Ihm werden fünffacher Mord, mehrfacher versuchter Mord und mehrfache gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Faeser: Täter passt in kein bisheriges Raster

Den Behörden gibt das Profil des Mannes bislang Rätsel auf. «Es gilt, alle Erkenntnisse zusammenzufügen, die ein Bild über diesen Täter ergeben, der in kein bisheriges Raster passt», sagte Faeser. Der Täter habe unfassbar grausam und brutal gehandelt - «in der Begehungsweise wie ein islamistischer Terrorist, obwohl er ideologisch offenbar ein Islamfeind war».

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, sagte im ZDF, der Tatverdächtige habe eine islamfeindliche Einstellung, er habe sich auch mit rechtsextremen Plattformen beschäftigt. Es sei aber noch nicht abschließend möglich zu sagen, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei.

Bereits 2013 auffällig

Taleb A. war in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen aufgefallen: Im Jahr 2013 verurteilte ihn das Amtsgericht Rostock zu 90 Tagessätzen wegen Störung des öffentlichen Friedens. Nach Angaben von Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) hatte er im Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen mit einer Tat gedroht, die internationale Beachtung bekommen werde. Dabei habe er auf den Anschlag beim Boston-Marathon verwiesen. Im Zuge einer Durchsuchung seien jedoch keine Hinweise auf eine reelle Anschlagsvorbereitung gefunden worden.

Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erreichte im Spätsommer 2023 nach eigenen Angaben über seine Social-Media-Kanäle ein Hinweis zu Taleb A. «Dieser wurde, wie jeder andere der zahlreichen Hinweise auch, ernst genommen», schrieb das Bamf auf der Plattform X. Die hinweisgebende Person sei, wie in solchen Fällen üblich, direkt an die verantwortlichen Behörden verwiesen worden. 

Die Magdeburger Polizei hatte vor einem Jahr eine Strafanzeige aufgenommen. Der Berliner Amtsanwaltschaft lag zudem ein Verfahren wegen des Missbrauchs von Notrufen durch Taleb A. vor. Zuerst hatte der «Spiegel» darüber berichtet.

Verfahren nach Hinweis aus Saudi-Arabien

Nach von BKA-Chef Münch wurde nach einem Hinweis aus Saudi-Arabien zu dem Mann im November 2023 ein Verfahren eingeleitet. Die Sache sei aber unspezifisch gewesen. «Er hat auch verschiedene Behördenkontakte gehabt, Beleidigungen, auch mal Drohungen ausgesprochen. Er war aber nicht bekannt, was Gewalthandlungen angeht», sagte Münch im ZDF.

Faeser kündigte an, dass sie die innenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen am Montag erneut über den aktuellen Erkenntnisstand unterrichten werde. «In einer möglichen Sondersitzung des Innenausschusses werden die Spitzen unserer Sicherheitsbehörden und ich erneut über den Ermittlungsstand informieren.» Zuvor hatten bereits Politiker mehrerer Parteien Aufklärung verlangt. Für Debatten sorgt auch, dass der Täter trotz eines Sicherheitskonzepts mit seinem Wagen auf den Weihnachtsmarkt gelangen konnte.

Was könnte das Tatmotiv sein?

Der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens nannte am Samstag als mögliches Motiv des Täters Unzufriedenheit über den Umgang mit Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, die Äußerungen des Mannes zur Motivlage hätten eher wirr geklungen.

In sozialen Netzwerken präsentierte sich der Festgenommene als vehementer Kritiker des Islams und des repressiven Machtapparats in Saudi-Arabien. Zugleich setzte er sich für die Belange vor allem von Frauen aus seinem erzkonservativ geprägten Heimatland ein.

Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform «RAIR», die sich selbst als antimuslimische Graswurzel-Organisation beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt. Darin warf er der deutschen Polizei vor, das Leben saudischer Asylsuchender, die sich vom Islam losgesagt hätten, gezielt zu zerstören. Zudem präsentierte er sich als Fan von X-Inhaber Elon Musk, der inzwischen Positionen der amerikanischen Rechten vertritt, und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge. Gleichzeitig bezeichnete er sich aber politisch als links.

Hunderte trauern um Anschlagsopfer 

In Magdeburg sitzt der Schock nach dem Anschlag tief. Der Tatort ist seit Sonntagnachmittag wieder für Passanten freigegeben. Viele Menschen nutzten die Gelegenheit und spazierten zwischen den geschlossenen Buden. Hunderte Menschen kamen zu einer Mahnwache an der Johanniskirche zusammen, dem zentralen Ort der Trauer in Magdeburg. Viele Menschen hatten Tränen in den Augen und hielten sich gegenseitig im Arm. Sie standen schweigend mit Blick auf das stetig wachsende Blumenmeer. 

Bereits am Samstagabend versammelten sich zahlreiche Menschen zu einem Gedenkgottesdienst. Neben Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) waren auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor Ort. Es gab in der Magdeburger Innenstadt aber auch eine Kundgebung mit rechten Parolen.

Scholz hatte zuvor bei einem Besuch am Tatort von einer «furchtbaren, wahnsinnigen Tat» gesprochen. Es gebe keinen friedlicheren und fröhlicheren Ort als einen Weihnachtsmarkt. Jetzt sei wichtig, dass man aufkläre, mit aller Präzision und Genauigkeit, sagte er. Zugleich rief der dazu auf, «dass wir als Land zusammenbleiben, dass wir zusammenhalten, und dass wir uns unterhaken, dass nicht Hass unser Miteinander bestimmt».

Kontakt für Angehörige
Wer Informationen zu Verletzten benötigt, kann sich über die Hotline-Nummern der Uni-Klinik Magdeburg melden. Bitte beachtet, dass diese ausschließlich für Angehörige vorgesehen sind:

0391 67 – 25218

0391 67 – 25219

0391 67 – 15663

Für Angehörige haben wir in Haus 8, Ebene 4 eine psychologische Betreuung eingerichtet.

Rund acht Jahre nach Berliner Weihnachtsmarktanschlag 

Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, war in Berlin ein islamistischer Terrorist mit einem entführten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Dabei wurden 12 Menschen getötet, das 13. Opfer starb 2021 an den Folgen. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde.

Auch in anderen Städten mit Weihnachtsmärkten ist die Polizei nun besonders achtsam. In Stuttgart sagte ein Polizeisprecher, die Polizeikräfte seien vor Ort sensibilisiert worden. In Berlin sagte ein Sprecher, man habe die Beamten aufgerufen, ein erhöhtes Augenmerk auf Weihnachtsmärkte zu richten.

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