Antrag der Verteidigung

Halle-Prozess aussetzen

Das Verfahren um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle könnte platzen. Grund ist ein Antrag der Verteidigung, über den das Gericht nun entscheiden muss. Die Vorsitzende Richterin deutet schon vorher an, wohin sie tendiert.

Im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle hat die Verteidigung die Aussetzung oder mindestens eine dreiwöchige Unterbrechung des Verfahrens beantragt. Die Vorsitzende Richterin des Oberlandesgerichts Naumburg, Ursula Mertens, sagte am Mittwoch jedoch, dass sie nach vorläufiger Bewertung des Antrags dazu tendiere, den Antrag abzulehnen. Sie gab Anklage und Nebenklage zunächst bis zum 16. November Zeit, Stellung zu nehmen. Für den 17. November ist der nächste Prozesstag geplant.

Am 9. Oktober 2019 hatte ein Terrorist versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge von Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Er scheiterte an der Tür, erschoss dann eine 40-Jährige Passantin und später einen 20-Jährigen in einem Döner-Imbiss und verletzte weitere Menschen. Der 28-jährige Deutsche Stephan Balliet hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen Verschwörungstheorien begründet. Seit Juli läuft vor dem Oberlandesgericht Naumburg der Prozess, er findet jedoch aus Platzgründen in Magdeburg statt.

Hintergrund des jüngsten Antrags ist eine Forderung aus den Reihen der Nebenklage. Dabei geht es um einen Passanten, den der Attentäter auf seiner Flucht angefahren und verletzt hatte. Das hatte die Bundesstaatsanwalt in der Anklage als fahrlässige Körperverletzung gewertet. Die Befragung des Angeklagten und von Zeugen habe aber gezeigt, dass der Angeklagte einen Tötungsvorsatz gehabt hätte, sagte der Anwalt des Passanten.

So habe der Angeklagte, nachdem er die dunkle Hautfarbe des Passanten erkannt hatte, mit dem Auto direkt auf diesen zugehalten, um ihn zu töten. Auch ein Lied auf den Speichermedien des Angeklagten, das von einem Terroristen handelt, der aus rassistischen Motiven mit einem Auto gezielt Menschen überfährt, spreche dafür, dass der Angeklagte vorsätzlich auf den Passanten zufuhr, um den zu töten.

Um den Angeklagten auch in diesem Fall für versuchten Mord verurteilen zu können, obwohl der Fall als versuchte Körperverletzung angeklagt ist, muss ein Gericht die Verteidigung mit einem rechtlichen Hinweis auf dieses Szenario vorbereiten. Diesen Hinweis gab Mertens auf Anregung des Nebenklage-Anwalts, was wiederum der Verteidigung ermöglichte, die Aussetzung des Prozesses zu beantragen. Laut Strafprozessordnung ist ein Strafprozess nämlich auszusetzen, wenn der Angeklagte bestreitet, auf neu hervorgetretene Umstände, die die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen, vorbereitet zu sein.

Mertens sagte nach einer vorläufigen Bewertung, dass sie in dem Vorfall keinen «neu hinzutretenden Zustand» sehe und daher geneigt sei, den Antrag abzulehnen. Sollte sie sich umentscheiden und dem Antrag auf Aussetzung doch zustimmen, wäre der Prozess geplatzt. Mehrere Anwälte der Nebenklage bezeichneten das nach Abschluss des Prozesstages aber als sehr unwahrscheinlich.

Auch Anwalt Hans-Dieter Weber, der die Aussetzung beantragt hatte, sagte am Mittwochnachmittag, dass er nicht das Scheitern des Verfahrens anstrebe und deshalb in seinem Antrag auch die Möglichkeit einer Unterbrechung eingeräumt habe. Die Verteidigung werde die Anträge der Nebenkläger nun zunächst prüfen.

Urteil im Dezember?

Mit einem Urteil hatte das Gericht bisher für Mitte Dezember gerechnet, am 17. November sollten die Plädoyers beginnen. Ob dieser Zeitplan nach den Anträgen vom Mittwoch noch zu halten ist, war zunächst nicht absehbar.

Inhaltlich standen am 19. Prozesstag erneut die Internet-Aktivitäten des Angeklagten im Mittelpunkt. Dazu hatte das Gericht die Autorin und Journalistin Karolin Schwarz als Sachverständige geladen. Sie recherchiert seit langem in rechtsextremen Online-Communitys und hatte deren Reaktionen auf den Anschlag - anders als die Behörden - beobachtet und dokumentiert. Schwarz legte dem Gericht zahlreiche Screenshots vor.

Der Angeklagte soll sich auf rechtsextremen Foren radikalisiert und im Internet auch sein Wissen für den Waffenbau erworben haben. Er hatte bei der Ankündigung der Tat und in einem Video mehrere szenetypische Codes verwendet, sich auf den Christchurch-Attentäter in Neuseeland bezogen und sich somit direkt an das Publikum der rechtsextremen Internetforen gerichtet. Dort gab es nach dem Anschlag, wie Schwarz zeigte, zunächst viel Häme und Spott dafür, dass der Attentäter nicht in die Synagoge gelangt war. Dafür wurde der Angeklagte rassistisch und homophob beleidigt. Andere User hingegen lobten den Anschlag.

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