Bei der Landesbereitschaftspolizei in Magdeburg soll es einen antisemitischen Vorfall gegeben haben.
Den will Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht jetzt mit einer Sonderkomission untersuchen, wie er am Montagnachmittag, 12. Oktober 2020 bei einer Pressekonferenz ankündigte.
Konkret geht es um einen Fall, wo Polizisten in einer anonymen Email einen Kantinenbetreiber jahrelang als "Juden" bezeichnet haben sollen.Die komplette Dienststelle wisse davon und habe nichts dagegen unternommen, heiße es in dem Schreiben. Nach ersten Ermittlungen über das Wochenende hätten sich die Vorwürfe bestätigt. «Dies ist nicht hinnehmbar und ist mit absoluter Härte und absoluter Transparenz aufzuklären», sagteStahlknecht. Er sei betroffen, erschrocken, wütend und erschüttert.
Stahlknechtkündigte eine externe und unabhängige Sonderkommission an, die den institutionellen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufklären solle. Sie werde beim Justizministerium angebunden sein. Von ihren Ergebnissen würden auch mögliche personelle Konsequenzen abhängig gemacht. Noch stehe man am Anfang der umfassenden Aufklärung eines erschütternden Vorwurfs. Jerzy Montag, früherer Grünen-Bundestagsabgeordneter und Rechtsexperte werde diese Kommission begleiten und ab Januar leiten.
Zudem werde sich Sachsen-Anhalt der Polizeistudie Niedersachsens anschließen. Dabei begleiten Wissenschaftler Polizisten in ihrem Alltag und untersuchen, ob es dort strukturellen Rassismus gibt.Es seien die Entwicklung von Denkweisen in der sachsen-anhaltischen Polizeizu untersuchen, Vorurteilsstrukturen und Präventionsmöglichkeiten.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat solch eine Studie bisher immer abgelehnt. Polizisten würden sonst unter Generalverdacht gestellt.
Stahlknecht sagte auch, er habe erstmalig die Stelle eines Extremismus-Beauftragten bei der Polizei eingerichtet.«Wir wollen damit eine Möglichkeit schaffen, sich vertrauensvoll an einen Ansprechpartner außerhalb der Polizeihierarchie wenden zu können.» In konstruktiver Atmosphäre sollten Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden. Geplant sind zudem Fortbildungsmaßnahmen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, die die Landespolizeipfarrerin anbieten soll. Zusätzlich sollen Führungskräfte sensibilisiert werden.
Von der Nachricht mit den anonymen Vorwürfen erfuhrStahlknechtam Freitag gegen 09.30 Uhr, wie er sagte. Es war der Jahrestag des antisemitischen und rechtsextremen Terroranschlags von Halle.Stahlknechtsagte, er habe umgehend die ersten Ermittlungen eingeleitet. In der anonymen E-Mail habe wörtlich gestanden: «Die komplette Dienststelle kannte diesen Umstand und tat nichts zur Unterbindung oder leitete Disziplinarverfahren beziehungsweise Strafverfahren ein. Dieser institutionelle Antisemitismus muss aufhören. Bitte versuchen Sie, Sensibilität zu schaffen.»
Die Abteilungsleiterin für Öffentliche Sicherheit und Ordnung im Innenministerium, Christiane Bergmann, sagte: «Das antisemitische Stereotyp, das ich hier bewusst nicht wiederhole, besteht in der Landesbereitschaftspolizei bezogen auf den vormaligen Kantinenpächter bereits seit den 90er Jahren.» Es habe sich durchgetragen durch die Organisation Landesbereitschaftspolizei. «Nach unserer Auffassung gibt es dafür keine Rechtfertigung. Und das macht es schwer, einen Ansatz zu finden. Man kann hier ganz gewiss nicht von Einzelfällen sprechen, sondern man muss hier davon sprechen, dass wir an die Landesbereitschaftspolizei insgesamt herangehen müssen.»
InnenministerStahlknechtbetonte: «Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Extremismus und Rassismus haben in unserer Gesellschaft keinen Platz und damit auch nicht in der Landespolizei in unserer Polizei in Sachsen-Anhalt.» Und: «Ich stehe für liberale Freiheit in diesem Land, damit das ganz deutlich ist.»
Grünen, SPD und Linke begrüßten die Pläne zur Aufarbeitung. Sebastian Striegel von der Grünen-Landtagsfraktion teilte mit: «Es ist gut, dass die aktuellen Vorwürfe aus der Polizei heraus bekannt wurden. Die Mauer des Schweigens wird langsam durchbrochen. Um sie aber komplett zu Fall zu bringen, brauchen wir dringend einen unabhängigen Polizeibeauftragten.» Man werde die angekündigten Maßnahmen unterstützen, ähnlich äußerte sich die SPD-Fraktion. Die Linken-Fraktion fordertet: «Der Innenminister muss nun dem Parlament schnell seine Zukunftspläne darlegen, so dass die Abgeordneten darüber beraten können.»
Zuletzt standStahlknechtheftig in der Kritik. Der CDU-Politiker soll vor wenigen Tagen bei einem Besuch in einem Polizeirevier gesagt haben, dass die Einsatzstunden der Polizisten zum Schutz jüdischer Einrichtungen an anderer Stelle fehlten. Während er unter anderem aus der jüdischen Gemeinschaft kritisiert wurde, sprach der Minister von einem Missverständnis, es tue ihm leid. Der Schutz jüdischer Einrichtungen habe höchste Priorität, hatte er wiederholt gesagt.