Am dritten Prozesstag der Gerichtsverhandlung zum rechtsterroristischen Anschlag von Halle will das Gericht erstmals Zeugen befragen. Zunächst sollen am Dienstag mehrere Ermittlungsbeamte vor Gericht gehört werden, sagte Gerichtssprecher Henning Haberland. Außerdem soll ein zweites Video der Tat gesichtet werden. Am zweiten Prozesstag am vorigen Mittwoch hatte das Gericht bereits das Video in Augenschein genommen, das der Angeklagte bei der Tat mit einem an seinem Helm befestigten Handy aufgenommen hatte. Bei der Sichtung hatten mehrere Nebenkläger den Raum verlassen oder verdeckten sich die Augen - der Angeklagte grinste zu Beginn der Sichtung. Am Dienstag soll nun ein Video gezeigt werden, das eine an der Brust des Angeklagten befestigte Kamera aufgezeichnet hat.
Der Angeklagte, der Sachsen-Anhalter Stephan Balliet, hatte zu Prozessbeginn eingeräumt, am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet versucht zu haben, in der Synagoge von Halle ein Massaker anzurichten. In dem Gotteshaus feierten zu dem Zeitpunkt 52 Menschen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Dem Angeklagten gelang es jedoch nicht, in die Synagoge zu einzudringen. Daraufhin erschoss er vor der Synagoge eine zufällig vorbeikommende 40-Jährige und später einen 20-Jährigen in einem Dönerimbiss.
In Magdeburg läuft seit voriger Woche der Prozess gegen den Sachsen-Anhalter. Das Gericht hat zunächst 18 Verhandlungstage bis Mitte Oktober angesetzt. In der 121-seitigen Anklageschrift lastet die Bundesanwaltschaft dem Angeklagten 13 Straftaten an, darunter Mord und versuchten Mord. 45 Betroffene haben sich der Klage als Nebenkläger angeschlossen, zwei von ihnen erst zu Beginn der Verhandlung. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
Bei seinem Versuch, in die Synagoge zu gelangen, hatte dem Mann mehrfach eine unscheinbare, mit Holz verkleidete Tür den Weg versperrt. Die Tür wurde zum Symbol für das Scheitern vom ursprünglichen Plan des Attentäters, in derSynagoge ein Massaker von den Ausmaßen des Christchurch-Anschlags anzurichten. Zeitungen widmeten der Tür ganze Titelgeschichten, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Weihnachtsansprache, es sei ein Wunder, dass die Tür standgehalten habe. Die Tür war bis zuletzt samt Einschusslöchern in der Synagoge zu sehen, am Dienstag soll sie durch eine neue ersetzt werden. Eine Künstlerin soll die alteTür mit Gemeindemitgliedern umgestalten, dann soll die Tür ausgestellt werden.
An den ersten beiden Verhandlungstagen hatte der Angeklagte jedes Zeichen der Reue vermissen lassen. Richterin Mertens befragte den heute 28-Jährigen zum Prozessauftakt zunächst zu seinem persönlichen Werdegang. Der geständige Angeklagte gab an, während seiner Kindheit und Jugend im Landkreis Mansfeld-Südharz keine Freunde gehabt und nur über das Internet Kontakt zu Menschen jenseits seiner Familie gehabt zu haben. Nachdem er sein Studium wegen einer Operation abgebrochen hatte, lebte er in seinem Kinderzimmer im Haus der Mutter und in einem Zimmer im Haus seines Vaters.
Als Deutschland 2015 zigtausende Schutzsuchende aufnahm, habe er zum «Selbstschutz» angefangen, sich selbst zu bewaffnen. Dazu bestellte er sich einen 3D-Drucker und fertigte im Haus seines Vaters Waffen, die er auch in seinem Zimmer im Haus seiner Mutter lagerte. Beide Eltern wussten laut dem Angeklagten nichts von seinem Plan.
Bei der Befragung durch die Bundesanwaltschaft und die Anwälte der Nebenklage lachte der 28-Jährige am zweiten Verhandlungstag immer wieder. Die Nebenkläger-Anwälte, die bislang nicht zu Wort kamen, können den Angeklagten am Dienstag befragen.